Aktivismus

Ich wollte es auch noch einmal genauer aufdröseln, was gestern mit Selbstdiagnose und Aktivismus gemeint war, aber Felicea kam mir nun zuvor.
Im folgenden also noch einmal ihre Zusammenfassung auf Twitter:

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Wie ich gestern in meinem Blogpost „Nur ein Stück Papier“ vergessen hatte zu erwähnen, hat Aktivismus oder sich für eine Sache einsetzen nichts mit der eigenen Betroffenheit zu tun. Sondern viel mehr, ob etwas in meinen Augen – nach meinen eigenen ethischen Grundsätzen – falsch läuft. Jeder definiert diese für sich selbst, deswegen ist es natürlich völlig legitim, wenn nicht Jeder für das Gleiche kämpft.
Ich setze mich z.B. auch dafür ein, dass Krankenpfleger oder Kindergärtner eine angemessene Bezahlung und vor allem, bessere Arbeitsbedingungen erhalten.
Der Unterschied ist doch lediglich, dass ich keiner dieser beiden Gruppen zugehörig bin – und nicht so tue als ob. Ich sage offen, dass ich das nicht bin.
Und sind wir mal ehrlich…
Es hat doch (leider) heutzutage einen viel größeren Impact auf Medien/Politik, wenn sich nicht nur ‚Betroffene‘ zu Wort melden, sondern auch noch eine breite Masse anderer Menschen sagt: „Hey, schaut alle hierher, hier läuft etwas falsch. Hört auf diese Gruppe, wir unterstützen deren Vorhaben/Ansichten/Forderungen.“
Und genau deswegen setze ich mich dafür ein. Damit ein Umdenken stattfinden kann in der Gesellschaft – vor allem aber in der Politik. Damit eben mehr auf solche Gruppen (Minderheiten) gehört wird.
Minderheiten brauchen nun einmal die Unterstützung der Masse. Wenn die Masse zu laut ist mit ihren Vorurteilen/Ansichten, dann können Minderheiten gar nicht gehört werden.
Sie gehen sprichwörtlich in der Masse unter.

Ich stehe zur aktuellen Diskussion so:
Selbstdiagnose (subjektiv) = dennoch Verdachtsautist
klinische Diagnose (objektiv) = Autist

Ich ging diesen nervenaufreibenden Diagnoseweg.
Mir war es wichtig, dass eine Person die mich nicht schon jahrelang kennt, eine objektive Meinung abgibt, ob meine subjektive Einschätzung… also der Verdacht, dass ich Autistin sein könnte – tatsächlich stimmte.

Ich für meinen Teil kann leider nicht nachvollziehen, wie man aus einer Selbstdiagnose eine Klinische macht, obwohl das real gar nicht der Fall ist.
Also öffentlich behauptet man wäre Autist, obwohl man nur seine subjektive Einschätzung hat. Es ist nicht rational.
Ich sage damit nicht, dass die Selbsteinschätzung zwingend falsch sein muss. Bevor mich hier jemand falsch versteht. Doch eine externe professionelle Meinung – nicht nur zwischen Tür und Angel – halte ich für notwendig, wenn man sich als Autist bezeichnet.
Aktivismus im öffentlichen Raum, da gehört das Internet für mich nun mal dazu, in dem es um konkrete Veränderungen im Leben von Autisten geht, da sollte die Basis eben Ehrlichkeit sein.

Zu sagen, man ist offiziell diagnostiziert… Ja oder Nein. Man hat den Verdacht und wartet auf einen Termin oder man ist eben kein ‚Betroffener‘ und repräsentiert eine ganz andere Gruppe von Menschen, die für Verbesserungen im Leben von Autisten eintreten.

Ich denke das Problem liegt darin, dass die ohne klinische Diagnose glauben, sie dürften nicht mitreden. Das ist doch gar nicht der Fall.
Wie ich schon oben schrieb… Jede Unterstützung ist willkommen.
Das was hingegen wichtig ist, ist die offene und ehrliche Kommunikation.
Teilt euch mit. Sagt was bzw. wer ihr seid.
Autist ja oder nein. Eltern autistischer Kinder, Autistische Eltern(-teile) mit ’normalen‘ Kindern, Ehepartner eines Autisten oder die Musiklehrerin, die sich einfach nur so für das Thema einsetzt ohne direkten Kontakt… oder was auch immer.
Die Kombinationen sind extrem vielfältig.
Durch die Vielfalt gewinnt der Aktivismus an Kraft.
Vielfalt schafft Masse.
Masse hat Kraft etwas zu bewegen.
Nur ehrlich sollte sie sein. Zu sich selbst. Nach außen. Immer.

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Nur ein Stück Papier?

Das Diagnoseschreiben.
In der Autismus-Community spaltet es wie nichts anderes.

Was ich heute ganz stark auf Twitter festgestellt habe ist, dass die Selbstdiagnostizierten leider oftmals dieses fehlende Stück Papier aus verschiedensten Gründen verteidigen. Lebensläufe sind alle unterschiedlich und es mag vielfältige Gründe geben, warum jemand keine professionell erstellte Diagnose erhält.
Ich persönlich verstehe nicht, wie behauptet werden kann, man wäre mit diesem Stück Papier elitär. Irgendwie schwingt da dieser Unterton mit („Du hälst dich für etwas besseres, weil du hast eine und ich nicht.“). Kann sein das ich mich da irre, es ist nur mein Empfinden.
Ich verstehe absolut, wenn manche verzweifeln, weil sie keine Kraft für diesen anstrengenden Weg, des monatelangen Wartens auf den Termin, haben. Das Leben drumherum kann viele Gründe dafür liefern. Deswegen ist dieser Mensch keineswegs schlechter. Doch ich verstehe nicht, wenn aus dieser Verzweiflung heraus nicht offen gesagt/geschrieben wird, dass man eben keine offizielle Diagnose hat.
Jemand der von sich selbst aus sagt, ich habe den Verdacht zum Spektrum zu gehören, ich möchte mich gerne engagieren, aber ich will/kann aus diversen Gründen keine Diagostik machen, den respektiere ich gleichermaßen wie jemanden, der diesen aufwändigen Weg gegangen ist. Aber bitte auch so kommunizieren, welcher Gruppe man angehört. Das beide Gruppen auf der gleichen Seite stehen und für eine bessere Zukunft eintreten, dass sollte das gemeinsame Ziel sein. Zumindest ist das meines.
Was mir persönlich wichtig ist, ist die Tatsache der Offenheit und Ehrlichkeit.
Das wiederrum mündet in Vertrauen.

Was ich leider feststelle ist, dass dieses Vertrauen oftmals fehlt. Nein, eher ziemliches Misstrauen herrscht.
Da folgen dann gerne Sätze wie: „Aber was ist mit den falsch positiv/negativ diagnostizierten?“ oder: „man sei Autist seit der Geburt und nicht erst ab diesem Stück Papier“.
Natürlich.

Das gegenseitige Vertrauen ist das, was meiner Meinung nach die Community stark macht. Da braucht es keine Zweifler in den eigenen Reihen. Entweder ich vertraue auf die Korrektheit der ärztlichen Diagnose oder der Zweifel zerfrisst mich und ich drehe mich im Kreis, anstatt vorwärts zu kommen.
Wenn ich mich für etwas einsetze, dann habe ich den Standpunkt für mich klar definiert. So das ich das mit meinem Gewissen vereinbaren kann und darauf achte, dass durch meine Handlungen keine Nachteile für andere entstehen.

Zwietracht ist doch genau das, was unglaubwürdig macht. Kräfte werden geopfert, die an anderer Stelle viel wichtiger wären. „Wenn Zwei sich streiten, dann freut sich der Dritte.“ (RW)
Das ist das Gleiche wie im Sport. Es gibt zwei Varianten. Den anderen respektieren: die beiden führenden Player pushen sich gegenseitig zu neuen Höchstleistungen oder aber den anderen manipulieren wollen: sie beharken sich gegenseitig, zerren am Trikot, machen Fehler, fallen hin und die anderen (in diesem Falle: Therapien mit schädlichen Langzeitfolgen) kommen gemütlich und ohne großen Aufwand vorbei.
Zu welcher Variante willst du gehören?
Pushen oder hinfallen?
Pushen geht nur, wenn Player 1 offen zeigt was er kann. Player 2 mobilisiert seine Kräfte und will mehr – in dieser Zeit hat Player 1 die Möglichkeit der Regeneration, um erneut seine Leistung verbessern zu können. Und so weiter und so fort…

Ich vertraue darauf, dass jemand der behauptet er sei Autist, dies auch von ärztlicher Seite her hat abklären lassen. Ich will nicht zweifeln. Zweifeln macht kaputt. Wenn die Diagnose kein Facharzt bestätigt hat, auch gut, das respektiere ich. Aber dann sei offen und ehrlich. Deine Unterstützung wird dennoch benötigt.
Nur Ehrlichkeit schafft langanhaltendes Vertrauen.
Gegenseitiges Vertrauen macht gemeinsam stark.
Ich für meinen Teil möchte nicht ständig beweisen müssen, dass ich das Diagnoseschreiben hier abgeheftet in einem Ordner habe, weil man mir nicht glaubt. Ich bin nicht besser als andere, nur weil ich dieses Stück Papier habe. Wäre ich stolz darauf, würde es in einem goldenen Rahmen über meinem Schreibtisch hängen. Doch ich bin nicht stolz darauf. Warum sollte ich? Ich habe nichts geleistet dafür. Es ist keine Medaille.
Im Gegenteil, es ist ein Mahnmal dafür, dass ich härter arbeiten muss als andere Menschen, um Gleiches zu erreichen.

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