…oder auch: mein Autismus und ich.
Das das Leben als Autistin nur durch die veränderte Wahrnehmung bestimmt wird, würde ich so direkt jetzt nicht behaupten, aber ich kann es letztendlich auch nicht ‚ausschalten‘ und so arrangiert man sich damit. Manchmal hat es aber auch Vorteile, die Welt um sich herum anders wahrzunehmen.
Sehen (visuelle Wahrnehmung):
Ich kann ziemlich gut sehen. ‚Adlerauge‘ wurde ich schon oft genannt. Details in der Ferne nehme ich recht schnell wahr und auch sonst sind es die kleinen Dinge, die mir als Erstes auffallen.
Andererseits bin ich sehr Lichtempfindlich. Ohne Sonnenbrille gehe ich praktisch nie aus dem Haus. Selbst ein bewölkter Himmel ist manchmal schon zu hell und Autofahren ohne Sonnenbrille wäre meinerseits grob fahrlässig, da das schon bei nur leichtem Sonnenschein ein vollkommener Blindflug wäre.
Hören (auditive Wahrnehmung):
Ich nehme alle Töne um mich herum gleich stark wahr – auch wenn sie nicht direkt neben mir erzeugt werden. Shoppen in der Stadt kann ziemlich anstrengend sein. Das Unterhalten der Leute, Autos die vorbeifahren, Kinder die weinen oder kreischen, Baulärm, Musikgedudel aus irgendwelchen Lautsprechern und am besten irgendwo noch ein Straßenmusiker. Ein Orchester aus Tönen, das mit noch anderen Reizen schnell zum Overload führen kann. Hier hilft eigentlich nur mein mp3-player mit Kopfhörern und recht lauter Musik, die mich von den anderen akkustischen Reizen abschirmt.
Andererseits half es mir schon ein paar mal aus brenzligen Situationen. Ein kleines Beispiel wäre da ein Winter vor einigen Jahren. Ich war mit 2 Bekannten in der Stadt unterwegs, als ich ein immer näher kommendes Rauschen/Rattern hörte und die Richtung auch schnell zuordnen konnte. Oben vor uns. Ich reagierte schnell und rief „stopp“. Keine 2 Meter vor uns krachte dann eine Dachlawine mit großen Eisplatten auf den Gehsteig. Hätte sicherlich Kopfverletzungen gegeben. Meine beiden Begleiter staunten nicht schlecht, woher ich das denn wusste.
Noch etwas zum Thema Musik… – gut, ich kann mir zwar nicht so richtig vorstellen, wie genau das Nicht-Autisten wahrnehmen, aber ich habe mir sagen lassen, dass wohl eher oberflächlich hingehört wird. Also die ‚Vordergrundmelodie‘ oder z.B. ein eingängiger Bass zuerst wahrgenommen wird oder gar nur der Text mit ‚Gedudel im Hintergrund‘. Das ist auch keinesfalls abwertend gemeint – nicht das mich da jemand falsch versteht. Bei Musik-Affinen Menschen (Berufsmusiker) ist das sicherlich nochmal anders – das ist mir bewusst.
Was ich eigentlich schreiben wollte ist, dass Musik bei mir sehr vielschichtig ankommt. Ich höre jedenfalls sofort die kleinen Nuancen in so einem Musiktitel. Die Instrumente, Loops etc. die das Lied unterstützten und nicht nur die, die mit ‚Krawumm und Ratata‘ ordentlich nach vorn und oben gedreht wurden.
Dadurch dass ich in Bildern denke, werden Worte und andere Töne die ich höre, sofort visuell von meinem Gehirn verarbeitet. Ich ’sehe‘ also quasi die Musik. Der Titel dröselt sich in meinem Kopf wieder in die einzelnen Tonspuren auf. Es fällt mir schwer das zu beschreiben, was ich meine. Vermutlich sollte ich mich mit einem Berufsmusiker bzw. Musikproduzenten mal genau darüber unterhalten, um das selbst richtig zu analysieren.
Riechen (olfaktorische Wahrnehmung):
Hier habe ich besonders beim Einkaufen meine Probleme. Die Putzmittelabteilung im Supermarkt zum Beispiel… hier mache ich immer einen großen Bogen drum. Es geht so weit, dass es mir Schmerzen bereitet, solch extreme Gerüche riechen zu müssen.
Ein Vorteil allerdings ist es, wenn ich an Lebensmitteln rieche. Ich bemerke schnell, wenn die nicht mehr in Ordnung sind, auch wenn sie noch gut aussehen.
Schmecken (gustatorische Wahrnehmung):
Hier ist es ähnlich, wie ich es oben schrieb. Daheim beim Kochen bin ich eher sparsam, was Gewürze betrifft. Ich genieße lieber den ‚reinen‘ Geschmack des Lebensmittels. Oft genug durfte ich mir auch schon anhöhren, dass das Essen doch erst mit den Gewürzen schmecken würde. So der Geschmack erst herausgekitzelt werden würde. Da kann ich nur abwinken.
Tasten (taktile Wahrnehmung):
Hier liegt der Knackpunkt bei der Kleidung. Bei Kleidung hab ich keine bestimmten Vorlieben, ob nun enganliegend oder weit geschnitten – die Stoffqualität ist eher ausschlaggebend. Kratzige Kleidung ist nicht nur ‚etwas unangenehm‘ auf der Haut, es macht mich wahnsinnig. Zu viele Reize. Deswegen bevorzuge ich weiche und fließende Stoffe und von besserer Qualität.
Berührungen: Ich gehe hier mal etwas spezieller drauf ein.
Wenn ich gestresst bin, kann ich Berührungen gar nicht haben. Ebenso unerwartete, z.B. wenn mir jemand ‚aus Spaß‘ von hinten in die Seite piekt oder ähnliches. Alles andere als witzig für mich.
Generell jedoch mag ich Berührungen. Je fester, desto angenehmer ist es für mich.
Nicht gerade unüblich für Autisten.
Schmerzwahrnehmung: Das ist auch wieder etwas ganz Eigenes. Reize die von Außen kommen, bedürfen schon eines stärkeren Grades, damit ich sie tatsächlich als Schmerz wahrnehme. Ich weiß noch genau die Situation, als ich die Spinalanästhesie vor dem Kaiserschnitt bekommen hab. Was wurde vorher groß erklärt, dass ich mich keinesfalls bewegen dürfe – trotz der vorherigen örtlichen Betäubung würde man es spüren, wenn die Nadel gesetzt werde. (Man wird dann ja trotzdem noch von 2 weiteren Personen in dieser gebeugten Position festgehalten, damit man wirklich nicht zuckt.) Aber zur Verwunderung des Personals, keine Schmerzreaktion von mir.
Im Gegensatz dazu Schmerzen die mein Körper selbst (also von Innen) erzeugt, nehme ich deutlich heftiger wahr. Das Thema Schwangerschaft war da in der Hinsicht auch ‚interessant‘.
Aber das ist irgendwann mal einen eigenen Blogpost wert.
Temperaturempfindung:
Hier überschneidet sich das Thema mit der Kleidung wieder. Ich kleide mich eher zu kühl als zu warm. Hohe Temperaturen empfinde ich als unangenehm, ich hab’s lieber etwas kühler. Sommertemperaturen bringen mich schnell an meine Grenzen. Alles jenseits der 26°C ist mir zu warm.
Was jedoch das Bad in der Badewanne oder Duschen angeht… das Wasser kann kaum zu heiß für mich sein. Alles unter 40°C nehme ich hierbei – warum auch immer – als zu kühl für mich wahr. Bevorzugte Temperatur liegt hier bei 44°C. Besonders im Winter, wenn der Körper generell etwas ausgekühlter ist.
Ich mag dieses stechende Kribbeln sehr. Es hilft mir dabei, meinen Körper mal wieder bewusst wahrzunehmen. Die Körpergrenzen fühlen. Schwierig zu beschreiben. Diese Temperaturreize wirken sehr beruhigend auf mich und das ist einer der wenigen Momente, in denen ich mich mal richtig tief entspannen kann.
Das war nun alles, was mir als Erstes in den Sinn kam. Sollte mir in nächster Zeit noch etwas zu diesem Thema einfallen, werde ich es nachtragen. Fragen sind aber auch gerne willkommen. :-)