Autismus, Schlaf und ASMR

Schlafzimmer des Königs in Versailles

(Das Bild zeigt das Schlafzimmer des Königs in Versailles.)


Schlafprobleme, ein Thema welches viele Autistinnen und Autisten über Jahre oder Jahrzehnte hinweg begleitet und in der Autismus-Forschung leider nicht wirklich Beachtung findet. Hier gibt es massiven Nachholbedarf. Medikamentöse Ruhigstellung kann und darf nicht das Ziel sein.

Viele von uns kennen die üblichen gut gemeinten Ratschläge, die man überall zu hören bekommt. Schlafzimmer nur 18°C, eine Stunde vor dem Schlafen gehen kein Smartphone oder TV mehr, etwas lesen, warme Milch trinken und und und.
Nun… ich hab das auch alles durchprobiert – auch Medikamente zum Einschlafen hatte ich jahrelang. Wirklich geholfen hatte nichts oder zumindest nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte. Vor allem Schlaftabletten haben doch die ein oder andere unerwünschte Nebenwirkung.
Was für Nicht-Autisten sinnvoll sein mag, ist es bei Autistinnen und Autisten nicht unbedingt. Das mag daran liegen, dass wir Reize deutlich stärker bzw. ungefiltert wahrnehmen und auch daran, dass unser Gehirn ständig auf Hochtouren läuft. Runter kommen oder mal Nichts denken… für mich persönlich nicht machbar. Ich habe eigentlich nie einen Moment, in dem ich mal nicht nachdenke. Auch entspannen fällt mir sehr schwer. Gedanklicher Leerlauf sozusagen, wie es bei Nicht-Autisten wohl vorkommt, kenne ich nicht wirklich. Was genau dafür die Ursache ist, das können andere vielleicht besser beschreiben als ich. Ich für meinen Teil vermute, dass es ein Mix aus dem jahrzehntelangen Maskieren, dem ständigen nachträglichen analysieren von Gesprächen und Situationen, (Tages-)Abläufe vorausplanen, Reize die ich wahrnehme usw. ist. Kurz: Seit kleinauf kenne ich es nicht anders, als ständig „unter Strom zu stehen“ (RW).

18°C in der Wohnung oder gar im Schlafzimmer? Für mich der Garant für einen Overload. Ich friere dann zu sehr. Wer jetzt sagt, dann zieh dir halt mehr an oder nimm eine dickere Decke… nein. Ich ertrage Reize durch Kleidung auf der Haut nur schlecht. Deswegen laufe ich auch im Winter nur in weich fallenden Kleidern durch die Wohnung, die entsprechend auf 22-23°C beheizt ist. Sommer, wie Winter laufe ich daheim Barfuß. Socken sind mir ein Graus, was die Reize an den Zehen betrifft. Und beim Schlafen unter einer dicken Decke… dann überhitzt mein Körper zu sehr und im Gesicht spüre ich kalte Luftzüge… das alles sind Dinge, die mich nur noch unnötiger wach bleiben lassen und am Ende bin ich nur noch genervter. Probiert hab ich all diese Dinge über Wochen hinweg, falls ich mich doch daran gewöhnt hätte… nun ja… hab ich nicht und ich hatte den Vorteil, dass ich das alles allein für mich selbst probieren wollte.

Wenn dies nun einem Kind von außen so aufgezwungen werden würde, sähe das schon deutlich anders aus. Ein weiterer Punkt im Leben von Autisten, der Druck erzeugt… – dies ist nun wahrlich das Letzte, was wir brauchen. Daher einfach schauen unter welchen Bedingungen man am besten einschlafen kann. Diese sind so individuell wie Menschen eben unterschiedlich sind.

Deswegen liebe Eltern, wenn eure autistischen Kinder Einschlafprobleme haben… bedenkt vielleicht auch die Zimmertemperatur. Vielleicht fühlt sich das Kind in einem 2 Grad wärmeren Zimmer wohler und mag es vielleicht auch lieber, mit weniger Kleidung durch die Wohnung zu laufen. All dies kann Reize, die sich so über den Tag summieren unter’m Strich dann doch reduzieren, was dann wiederum die Anspannung am Abend insgesamt verringert und das Einschlafen erleichtert.

Auch bei einer gut geheizten Wohnung kann man durch Türen geschlossen halten oder Stoßlüften die Wärme ganz gut halten, wenn man es eben deutlich wärmer als der Durchschnitt mag. Meine Heizkosten lagen schon immer im unteren Bereich. Einfach mal schauen, wo man Stellen findet, wo Wärme entweicht. An hohen Türritzen hab ich im Winter immer ein aufgerolltes Handtuch hingelegt.

Meine Einschlafprobleme habe ich seit klein auf. Schon in jungen Jahren lag ich Abends oft 1-2 Stunden wach, weil die Gedanken nicht leiser werden wollten. Eine Gedanke jagte den nächsten, die Gedankenspirale drehte sich von einem Thema zum nächsten. Den Peak hatte das Ganze zu meiner Gymnasialzeit und in meinen Zwanzigern. Einer Zeit mit viel Schulstress, Umbruch- und Veränderungsphasen. Ich schlief pro Nacht nur etwa 4 Stunden und die nicht mal am Stück. Das ging mehrere Jahre so. Gesund war das wahrlich nicht, aber ich wusste damals auch noch nicht, dass ich Autistin bin und hielt das irgendwie für normal und das es eben vielen Menschen so gehe. Die Diagnose erhielt ich erst vor 9 Jahren mit 28.
Seit der Diagnose hab ich mich dann auch dem Problem des Schlafes intensiver gewidmet und so landete man unweigerlich auch bei den durch Ärzte verordneten starken Schlafmitteln. Diese helfen zwar eine kurze Zeit lang sehr zuverlässig beim Einschlafen, aber sind eben nichts auf Dauer. Der Körper gewöhnt sich rasch daran und braucht dann immer mehr für eine gleichbleibende Wirkung. Das Absetzen war dann auch nicht ganz so easy mit dem Wirkstoffentzug, daher lieber gleich die Finger davon lassen und falls es eben kurzfristig doch notwendig ist, um überhaupt mal wieder einen einigermaßen gesunden Schlafrhythmus zu bekommen, den Arzt nach weniger starken Mitteln fragen. Danach folgte ein nicht abhängig machendes Medikament, dies nahm ich 2 Jahre lang jeden Abend. Wirklich guter und erholsamer Schlaf war auch das nicht, aber zumindest mit weniger Überhang am nächsten Tag als durch die anderen ausprobierten stärkeren Schlafmittel. So kam ich immerhin auf 6 Stunden Schlaf und einen weniger müden Start in den Tag, dafür hatte ich aber fast jede Nacht Albträume, die ich mittlerweile klar dem letzten Medikament zuordnen kann.

Nebenbei machte ich in den letzten Jahren auch noch eine kognitive Verhaltenstherapie, die mir ebenfalls half, Stressoren herauszufinden und mich von diesen zu trennen. Nach dem erneuten Kontaktabbruch zu meinen Erzeugern ging es mir deutlich besser und auch der Umzug nach Frankfurt im August 2020 brachte noch einmal deutliche Besserung, weil ich nicht mehr mit meinen mich mit absichtlichen Lärm terrorisierenden Nachbarn über mir und der hellhörigen Wohnung leben musste.

Mein bis dahin halbwegs bewährtes Schlafprozedere war also: 22,5°C im Schlafzimmer, eine leichte Decke, leichtes Nachtshirt und Film oder Serie gucken zum Einschlafen. Reine Hörbücher haben bei mir eine schlechtere Wirkung, als Serie gucken und dann allmählich wegzuschlummern. Der optische Reiz hilft mir, von den reinen Gedankenkreisen etwas wegzukommen. Hierzu stelle ich aber den Monitor am TV, Tablet oder Smartphone auf eine niedrige Geräusch- und Helligkeitsstufe und ich stelle es so ein, dass das Gerät nach 1 Stunde von allein aus geht. Klappte nicht immer, aber oft bekam ich nicht mehr mit, wie sich das Gerät ausschaltete, weil ich bereits schlief.

Dann stolperte ich vor etwas mehr als einem Jahr auf youtube über das Thema ASMR.
ASMR steht für „Autonomous Sensory Meridian Response“. Was es wissenschaftlich damit auf sich hat, werde ich hier jetzt nicht näher drauf eingehen, sondern ich möchte euch erzählen, warum ich es vor allem auch für Autistinnen und Autisten eine durchaus gute Alternative zu Medikamenten halte, wenn es um das Thema schlafen geht, aber auch um negative Erregungszustände abzubauen. Ängste sind auch eine oft auftretende Komorbidität bei Autismus, auch hier denke ich, dass ASMR-Videos als ein weiterer Baustein hilfreich sein können.
Es scheint auf den ersten Blick nicht sehr logisch mit Geräuschen und weiteren Reizen für Einschlafhilfe zu sorgen, aber ähnlich wie ich tagsüber gern Musik auf Kopfhörern höre und mich so von anderen unerwünschten akustischen Reizen etwas abschirmen kann, so sind auch diese hier mit den ASMR-Videos selbst gewählt und dadurch doch ganz angenehm. Vorwiegend wird in den Videos geflüstert und die akustischen Reize wurden mit Bedacht produziert.

In den Videos mit oftmals über 1 Mio. Views (ich werde unten eine kleine Playlist mit verschiedenen ASMR-Videos die ich gut fand verlinken), schaffen es die Künstlerinnen – ja, meistens sind es Frauen – mit Hilfe von Geräuschen ein entspannendes Gefühl beim Hörer auszulösen. Sogenannte Tingles.
Viele ASMR-Künstlerinnen produzieren ihre Videos sehr aufwendig und so ist es keine Seltenheit, dass sie für ihre Rollenspiele ihre genutzten Gegenstände und Deko auch selbst herstellen. Die Videos sind oft einem bestimmten Thema gewidmet. Sie reichen von Beauty- und Spa-Behandlungen, bis hin zu Szenen als Ciri aus ‚The Witcher‘ oder Themen im Steampunk Setting. Es dürfte eigentlich für jeden ein passendes Genre geben.
Die Videos vermitteln ein Gefühl der Nähe, des sich kümmerns… ohne das man tatsächlich angefasst wird. Auch etwas, womit manche Autistinnen und Autisten Probleme haben. Es gibt auch Videos zu medizinischen Untersuchungen oder einem Besuch beim Friseur. Diese könnten vor allem bei autistischen Kindern dazu beitragen Ängste und vor allem auch Unsicherheiten vor solchen realen Besuchen abzubauen.

Für Menschen die sich öfters mal einsam fühlen, sind diese auch eine gute Möglichkeit, das angenehme Gefühl zu erhalten, dass sich jemand (virtuell) um einen kümmert. ‚Personal attention‘ heißt hier das Schlagwort. Ebenfalls bieten die Videos einen Leitfaden, wie man sich auch um sich selbst kümmern kann (z.B. Thema Gesichts- oder Haarpflege) und welche Schritte dies alles umfassen kann. Ihr merkt, diese Videos können für viele Bereiche hilfreich sein.

Jedenfalls kam es so, dass ich diese Videos immer regelmäßiger schaute. Zunächst, weil mich auch die Geschichten und Setups interessierten und irgendwann, weil ich tatsächlich merkte, dass mich diese Videos entspannter machten und ich das ein oder andere mal ohne Schlaftablette wegdämmerte. Nach einiger Zeit entschied ich mich dazu, ganz auf die allabendliche Tablette zu verzichten. Die Umstellung und Entwöhnung (einfach weil auch dies eine Routine geworden war) waren etwas holprig, aber im Nachhinein bin ich nun sehr froh, es so umgesetzt zu haben. Mittlerweile schlafe ich jeden Abend mit Hilfe dieser ASMR-Videos schon nach etwa 15-20 Minuten ein und insgesamt hat sich die Schlafdauer auf 7, manchmal sogar 8, Stunden verlängert und ich wache insgesamt auch weniger zwischendurch auf.

Hier achte ich darauf, dass mein Tablet auf die zweitniedrigste Lautstärke eingestellt ist, zu leise ist für mich auch nicht gut. Es muss gerade so laut sein, dass ich es gut höre und nicht nur reiner ‚Geräuschbrei‘ bei mir ankommt. Zu laut lässt mich dann wiederum zu konzentriert zuhören. Hier muss jeder eben für sich die richtigen Einstellungen finden. Kopfhörer nutze ich hierfür nicht.
Dann habe ich die Option am Tablet aktiviert, dass das blaue Licht gefiltert wird, dass alles einen warmen Farbton erhält und die Bildschirmhelligkeit hab ich dann auf niedrigster Stufe, damit ich nicht geblendet werde. Außerdem ist bei youtube das ‚auto play‘ deaktiviert und das Gerät geht nach dem einen Video auch automatisch in den Standby. (Insgesamt also auch stromsparende Optionen.) Es gibt nichts schlimmeres als gerade eingeschlafen zu sein und dann brüllt dir eine Werbung vom nächsten Video entgegen.
Dies ist übrigens auch etwas, worauf die guten ASMR-Artisten achten, dass sie ihre Videos so einstellen, dass die Werbung zu Beginn des Videos kommt und nicht mitten drin oder am Ende.

Oft schaue ich auch das gleiche Video mehrere Abende hintereinander, wenn ein Tag mal nicht gut lief oder ich etwas Vertrautes und für mich garantiert wirksames brauche. Meine 9-jährige Tochter schaut ebenfalls die Videos, auch bei ihr kann man dann förmlich zugucken, wie sie entspannter und müder wird. Mir selbst helfen sie z.B. bei einem Meltdown um auch tagsüber wieder ruhiger zu werden.

Mittlerweile gibt es auch Menschen die das Thema ASMR aufgreifen um ihr Handwerk zu zeigen. Journaling, malen, ein Buch binden, kochen oder Hausarbeit… ASMR erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Es ist thematisch sicher etwas für jeden dabei.
Einfach mal rumstöbern und versuchen, wenn sonst andere Optionen auch nicht zur Beseitigung der Schlafprobleme führten. Vielleicht sind ASMR-Videos auch für euch eine niedrigschwellige Lösung für dieses oder jenes Problem oder tragen zumindest zur Linderung bei. :-)


Kleine ASMR-Playlist (Link zu meinem youtube Kanal):
https://youtube.com/playlist?list=PLIpSIJJp0-bzMcUfB7xN4Mov_97KM_HML





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Autismus aktuell in den Medien

Eigentlich weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Beinahe jeden Tag werden neue unbewiesene oder noch schlimmer – längst widerlegte Mythen, als Wahrheit und aktuelle Faktenlage veröffentlicht bzw. ausgestrahlt.
Nicht zu vergessen, dass ‚Autismus oder autistisch‘ das neue Lieblingswort der Medien zu sein scheint, wenn man etwas negatives zu einer Person oder Sache ausdrücken möchte.
Einen sehr guten Überblick über die andauernden journalistischen „Ins-Klo-Griffe“ (Fehlgriffe) zeigt die folgende Seite autismus-ist.de/hall-shame sehr deutlich.

Nun aber erst einmal zu etwas, dass mich vor einiger Zeit schon sprachlos machte, und noch nicht so recht Aufmerksamkeit fand.
Im Film „Plastic Planet“ von Werner Boote geht es um die ‚Vermüllung‘ der Welt und was Plastik noch so alles anrichtet. Nichts ahnend folgte ich bis dahin interessiert dem Film. Ja bis zu der Szene, in der es darum geht, was Plastik alles anrichtet; z.B. weiblichen Schnecken wohl Penisse wachsen lässt – bis im Hintergrund durch eine Frauenstimme fast gebetsartig, dann das Wort Autismus fällt.
Ich dachte ich höre nicht richtig.

Wie solch unbewiesene Behauptungen (jedenfalls ist mir bis dato keine Studie dazu bekannt) in einen Film dieser Größenordnung kommen, ist mir schleierhaft.

A propos schleierhaft… kommen wir also nun zum nächsten Fehlgriff und der Frage, wie so etwas in der heutigen Zeit überhaupt in einem so großen Medium veröffentlicht werden darf.
Der Artikel um den es geht, erschien am 22.03.2015 im Feuilleton der FAZ und wurde von Frau Helene Hegemann geschrieben. Nachzulesen >hier<.
Frau Hegemann ist übrigens die mit dem ‚Axolotl Roadkill‘ und dem Dilemma des Plagiats-Vorwurfes um selbiges. Sie hat also genug Erfahrung im Bereich der Kontroverse und wie man sich am besten selbst ‚ein Ei legt‘.
Doch zurück zum Artikel.
Extrem sauer aufgestoßen ist mir persönlich bereits die Überschrift „Hochstapler und Autisten„. Noch bevor überhaupt der Text gelesen werden kann, werden 2 solche Begriffe einfach mal zusammen in den Raum geschmissen (RW). Nun hat der Leser also 2 Möglichkeiten.
1. Er scrollt weiter herunter und liest nun auch den Text und bildet sich sein eigenes Urteil – oder
2. und das ist viel schlimmer – entscheidet sich dazu, den Text doch nicht zu lesen und geht weiter seiner Wege.
Ja was bleibt denn bei solch einer Überschrift hängen? Das es eigentlich um eine Fernsehserie gehen soll oder das Autisten hier in einem Atemzug grundlos mit Hochstaplern in Verbindung gebracht werden?
Im Grunde möchte Frau Hegemann den Begriff Autismus auch nicht im negativen Kontext verwenden, doch die Art und Weise, wie sie Autismus in ihrem Text benutzt, ist seltenst so derartig unter der Gürtellinie gewesen, wie man es von einigen anderen Journalisten und ihren Fehlgriffen, als Autist bereits gewohnt ist.
Was danach folgt ist ein ziemlich abstruser und verwirrender Text, bei dem es einem schwer fällt herauszufinden, worum genau es nun eigentlich gehen soll.

Im letzten Drittel des Textes folgt der eigentliche Hammer und verdient zu Recht den Namen ‚Kronleuchter-Gate‘.
Sie schreibt: „Bei dieser neuen, glorifizierten Form von Autismus handelt es sich nicht um unberechenbare Asperger-Kids, die schon im Vorschulalter masturbierend am Kronleuchter hängen.“
Bitte was??
Ich bin jetzt zwar nicht wahnsinnig auf dem Gebiet bewandert, was neueste Redewendungen angeht, doch ich kann mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass das überhaupt eine darstellen soll. Überhaupt… für was soll das eine Metapher sein? Oder ist das gar nicht die Intention, sondern volle Absicht, um bewusst zu provozieren?
Mittlerweile dürfte sich nun auch schon etwas herumgesprochen haben, dass sich auch in Deutschland ‚Advocates‘ aus dem Autismus-Spektrum zunehmend gegen solche Aussagen zur Wehr setzen. – Wie heißt es doch so schön? „Lieber negative Presse, als gar keine.“
Hätte Frau Hegemann hier von anderen (ethnischen) Gruppen geschrieben, es wäre der Skandal des Jahres. Doch wenn wir Autisten uns gegen solche Beleidigungen aufbäumen, dann wird uns vorgeworfen, wir würden alles viel zu ernst nehmen und natürlich immer und immer wieder falsch verstehen.
Auch die folgenden Sätze Hegemanns werden nicht besser in der Hinsicht, was Autismus betrifft. Schrieb sie eben noch von der „glorifizierten Form von Autismus“ (was soll das eigentlich sein?), und nun „von irgendeinem irrationalem Pflichtbewusstsein“ und das Autisten „sich selbst egal“ wären. Weiter geht’s mit: „unmöglich zu […] Mitmenschen“, „kann nicht lachen, versteht keine Ironie“ bis hin zu „mangelnder Ehrgeiz sich als Individuum zu behaupten“.
Eine ordentliche Schippe aus der Klischee-Kiste, die Frau Hegemann da in ihren Text kippte. Das das eine oder andere in gewisser Weise bei dem ein oder anderen Autisten zutreffen kann, das will ich gar nicht bestreiten, doch alles so undifferenziert in Bezug auf eine Serienfigur – im Zusammenhang mit Autismus – zu schreiben finde ich fahrlässig und prägt nur noch weiter das Bild des emotionslosen und verkorksten Roboter-Autisten, dem jeder egal ist.

Wie die FAZ selbst auf die Kritik zum Artikel reagiert hat, zeigt ganz klar die behindertenfeindliche Einstellung einiger Medien. Kommentare wurden zum damaligen Zeitpunkt gar nicht erst freigeschaltet und mittlerweile ist der Artikel für weitere gesperrt und bereinigt worden.

Weitere Stimmen zum Artikel könnt ihr auf blog.realitaetsfilter.com nachlesen.

Und nun zum geistigen Dünnschiss dieser Woche… – verzeiht meine Wortwahl, aber hier erschien es mir durchaus passend.
Am vergangenen Freitag (27.03.2015) zeigte arte eine Wiederholung des bereits zuvor schon gesendeten Berichtes („Hilfe bei Autismus“). Aktuell ist er in der Mediathek >hier< zu finden. Aber bitte nur mit starken Nerven ansehen.

Im Film werden derartig viele falsche Informationen verbreitet und Autismus einmal mehr in ein negatives Licht gerückt, dass man da selbst mit Galgenhumor kaum noch zurecht kommt.
Bereits zu Beginn des Berichtes wird erwähnt, dass Autismus sich weiter verbreiten würde. Was wahrscheinlicher ist, ist dass nicht Autismus häufiger auftritt, sondern einfach nur das Gespür und die Aufmerksamkeit dafür größer wird, und somit die Früherkennung leichter ist. Ähnliches kann man auch bei Brust- oder Prostatakrebs beobachten.
Noch dazu liegt der Fokus extrem auf dem Leid der Umgebung – sprich der Eltern, der Autisten.
Kein Wort darüber, dass Autisten auch nur Menschen sind und akzeptiert und geliebt gehören, so wie sie sind.
Alles muss therapiert werden. Das Verhalten des Autisten ist nicht akzeptabel. Stimming (z.B. Hände flattern) und deren eigentliche Ursache, warum der Autist sich in diesem Moment beruhigen muss (Reizüberflutung), werden völlig außen vor gelassen. Im Gegenteil, es wird noch gezeigt, wie ein kleines autistisches Mädchen festgehalten wird. Für mich ist die Festhaltetherapie ein Teil einer seelischen Vergewaltigung. Ich schrieb bereits schon an anderer Stelle, was passiert, wenn der Willen des Kindes gebrochen wird und es sich einfach nur noch ohne jegliche Gegenwehr ergibt.
Gegen Ende hört man eine Mutter eines non-verbalen Autisten sagen: „Ich würde so gerne seine Stimme hören, das wäre für mich das wichtigste.“
Das Wichtigste wäre in meinen Augen, das eigene Kind so anzunehmen und zu lieben, wie es ist! Förderung natürlich – doch keine Veränderung, Manipulation oder ‚herumdoktern‘ mit irgendwelchen fragwürdigen Methoden, die angebliche Wunderheilungen versprechen. Autismus ist nun mal ein Teil der Persönlichkeit und kann nicht entfernt werden. Sehr viele der Autisten, wünschen sich das auch gar nicht.

Weiter erwähnt wird noch die Darmflora als der angebliche Auslöser für Autismus.
Hier eine wissenschaftliche Widerlegung auf sfari.org
Die Impfthese wird natürlich ebenfalls mit angesprochen… angeblich autistische Ratten und regressiver Autismus. Was soll das sein? Im ICD-10 oder DSM-V ist so etwas nicht zu finden.

Die Herausgeberin des N#mmer (Nummer) Magazins schrieb zum arte-Beitrag:

https://twitter.com/pollys_pocket/status/581862350980005888

Im Folgenden verlinke ich noch ein paar weitere Tweets zum Thema ‚highfunctioning‘. Viele sprechen mir aus der Seele und zeigen deutlich die Probleme auf, mit denen sich viele hochfunktionale Autisten immer wieder konfrontiert sehen.
#highfunctioningmeans – ein sehr bewegender Blogpost: ischemgeek.wordpress.com

Es ist also noch viel Aufklärung, durch Autisten und Autistinnen selbst, nötig.

Tweets:

https://twitter.com/Tokillamordecai/status/579056259002957824

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