Wenn du nicht ernst genommen wirst…

Mittlerweile ist dieses Trauma genau 5 Jahre her und ich habe nun den Mut gefunden, auch öffentlich darüber zu sprechen.

Aber vorher noch etwas Allgemeines, bevor ich zu meinen persönlichen Erlebnissen komme…
Ich höre bzw. lese immer wieder, dass Autisten oder Behinderte – mit welcher Einschränkung auch immer – oftmals nicht ernst genommen werden oder dann eher nur mit der Begleitung gesprochen wird, obwohl derjenige ja selbst nebendran steht.
Ich weiß nicht woran es liegt, dass eine offensichtliche Behinderung oder so eine Vorurteils- und Klischeebehaftete wie Autismus, von einigen Menschen so behandelt wird, als wäre man einen ‚happen doof‘ und gerade mal so in der Lage zu existieren. Schlimm und auch gefährlich wird es dann, wenn das Menschen sind, von denen man abhängig ist. Also z.B. Ärzte oder in anderen Behörden und Ämtern, wenn es um die Gewährung irgendwelcher anderer Hilfen geht.
Es ist so schon nicht leicht für Autisten sich Hilfe zu suchen. Gibt es doch von Beginn an viele Hürden. Zunächst einmal die korrekte Selbsteinschätzung, ob denn nun das Problem auch schlimm genug ist, um sich Hilfe zu suchen. Ich selbst neige leider dazu, Schmerzen bei mir viel zu lang auszuhalten, weil es mir schwer fällt abzuschätzen, ob das nun tatsächlich so ernst ist, dass ich ins Krankenhaus müsste.
Warum auch immer fällt mir das bei meiner Tochter deutlich leichter, das dann von außen abzuschätzen. Vielleicht ist es aber auch genau jenes Erlebnis das ich weiter unten dann schreibe, was mich fast übervorsichtig bei ihr macht… aber nochmal kurz zurück zum allgemeinen Teil.
Mal eben so irgendwo anrufen, Termin beim Hausarzt oder woanders zu machen, das funktioniert bei Autisten nicht wirklich gut. Wann immer es geht, laufe ich persönlich hin und hole mir so einen Termin. Hinzu kommen dann oft noch volle Wartezimmer, Geräusche, ungewohnte Umgebung – Reize die Autisten belasten. Unter Schmerzen ist die Kompensationsfähigkeit dann noch zusätzlich herabgesetzt (ich denke das kennt jeder, auch Nicht-Autisten) und um so schneller ist man schon im Overload.
Hat man es dann geschafft und ist im Behandlungs- oder Besprechungszimmer kommt die nächste Hürde. Zu beschreiben was man denn für ein Problem hat.

Hier möchte ich dann nun mit den ganz persönlichen und prägenden Erfahrungen fortfahren…
Ich machte bereits in meiner Kindheit und Jugend die Erfahrung, dass ich mit meinen Sorgen, Beschwerden oder Ängsten fast nie ernst genommen wurde. Vielleicht liegt es daran, dass ich trotz großer Schmerzen noch immer ziemlich sachlich beschreibe was los ist. Für einen Arzt mag das dann eben so wirken, als wäre ja alles gar nicht so schlimm. Neurotypische Menschen schmücken ihre Wehklagen sicher mit deutlich mehr Emotion und Füllworten, die zu verstehen geben, dass es für sie so schlimm ist, dass sie Hilfe benötigen.
Als ich mit 19 Jahren Gallenkoliken hatte, wurde ich auch nicht ernst genommen das es wirklich heftige Schmerzen sind. Ich bekam 1 Stunde lang kein Schmerzmittel, obwohl ich sagte, dass ich Schmerzen habe. Bis ich es überhaupt nicht mehr aushielt und weinte. Dann nach weiterer Wartezeit gab es einen Ultraschall – ja, Gallensteine. Aber gehen sie doch bitte wieder nach Hause, kann ja nicht so schlimm sein. Am Abend darauf erneut heftige Koliken. Ich wurde in ein anderes Krankenhaus gefahren, ich kommunizierte, dass ich erst am Vortag woanders gewesen wäre und man mich wieder heim schickte. Hier im Zweiten nochmal Ultraschall und dann OP nur 2 Stunden später.

2012 bin ich dann schwanger geworden. Die ersten Monate waren, was die Schwangerschaft selbst anging, okay… nur mein erster Frauenarzt war nicht gut. Damals stand der Verdacht auf Autismus bei mir schon ziemlich deutlich begründet im Raum. Ich teilte das dem Arzt mit und erhielt direkt die Aussage, dass das gar nicht sein könne, weil ich ja hier sitzen würde und mit ihm rede. Ohne zu schaukeln und zu sabbern.
Ich ging dort nicht mehr hin. Wie sich im Nachhinein auch herausstellte berechnete er sogar den Geburtstermin falsch. Bald hatte ich einen anderen Frauenarzt gefunden, viel Auswahl gab es in dem Ort damals nicht… dem neuen erzählte ich nichts vom Autismusverdacht. Ich hoffte nicht mehr auf Verständnis zu diesem Thema. Ich machte dann bei ihm alle Vorsorgeuntersuchungen. Ich bekam eine Symphysenlockerung diagnostiziert, die sich von Woche zu Woche verschlimmerte. In der 24. SW war es dann so, als hätte ich bei der kleinsten Bewegung Rasierklingen zwischen den Beinen im Becken. Kein Druckschmerz, sondern unglaublich stechend und schneidend. Aber so wirklich ernst nahm mich der Arzt auch nicht. Ich bekam erst auf mehrmaliges Nachfragen dann solch einen Beckengurt, der die Beschwerden lindern sollte, weil er das Becken wieder zusammenpresst… geholfen hat es mir leider nicht. Selbst sitzen war zur Qual geworden.
Ich konnte mich irgendwann nur noch unter größter Anstrengung bewegen. Die Schmerzen wurden fast unerträglich. Also wieder zum Arzt, es stand sowieso eine Untersuchung an, weil einige Blut- und Urinwerte außerhalb der Norm lagen. Eine Vorderwandplazenta hatte ich ebenfalls. Weil der errechnete Geburtstermin nun nicht mehr all zu weit war, fragte ich, was denn die bessere Option sei wegen der Symphysenlockerung.
Natürliche Geburt war mein Wunsch. Aber ich konnte ja jetzt schon kaum noch irgendwas und die Angst vor einer möglichen Symphysenruptur war ebenfalls da. Eine wirkliche Beratung bekam ich nicht von ihm. Lediglich die Antwort, dass ich das halt selbst entscheiden müsse ob natürliche Geburt oder Kaiserschnitt. Ja, danke für gar nichts. Also wieder heim.
Dann nur wenige Tage später bemerkte ich, dass sich meine Tochter im Bauch deutlich weniger bewegte als sonst. Ich wartete noch einen Tag, es besserte sich nicht, dann doch mit ziemlicher Sorge zum Arzt (38 + 0). Ich sprach an, dass ich Angst vor einer mehrmaligen Nabelschnurumwickelung hätte, aufgrund der deutlich weniger spürbar gewordenen Kindsbewegungen. Herztöne abhören – alles ok. Der Arzt tat mich ab, als wäre ich nur eine der überbesorgten Mütter, und teilte mir mit, dass so eine einmalige NSU ja auch ganz normal wäre und ich mir doch mal nicht so viele Gedanken machen solle.
Ich fühlte mich so unglaublich hilflos und selten so wenig ernst genommen.
Ich sprach daraufhin erneut meine Schmerzen an. Es war ein Freitag. Es wurde ein Kaiserschnitt für den kommenden Dienstag, den 29.01.2013 angesetzt. 2 Wochen vor errechnetem Termin.
Das Wochenende war schlimm für mich… noch immer die Unsicherheit, warum das nun auf einmal so schlagartig weniger war an Bewegung… sie war sonst immer sehr aktiv. Ich blieb dabei… ich spürte und ahnte es. Da ist definitiv was mit der Nabelschnur, nur glaubt es mir niemand, nimmt mich nicht ernst und mal per Ultraschall kontrolliert hat es auch keiner.
Ich hoffte einfach nur darauf, dass ich wenigstens ab und an noch ihre Bewegungen spüre… wir beide bis zum Dienstag durchhalten.
Montag ging es schon kurz ins Krankenhaus zur Blutabnahme und Vorgespräch mit dem Anästhesisten. Ihm erzählte ich, dass damals während der Gallenblasenentfernung das Narkosemittel bei mir nicht so gewirkt hatte wie es sollte. Wohl zu niedrig dosiert, weil mein Körper das anders verarbeitet (auch etwas, was ich immer wieder von anderen Autisten gehört habe, dass Medikamente gar nicht, konträr oder irgendwie anders wirken, als erwartet). Danach ging es wieder heim. Ja, ein schönes Hin- und Her mit all den Schmerzen. Aber ich ertrug das alles tapfer.
Dienstag Morgen ging es bei Zeiten ins Krankenhaus. Ich fühlte mich überfordert von all meinen Gefühlen.
Ich sollte mich dann ins vorbereitete Krankenbett legen, bekam einen Blasenkatheter verpasst und dann ging es auch schon bald ab in Richtung OP-Schleuse. Ich wurde rüber gehieft wie so ein bestelltes Essen im Restaurant, das über den Küchentresen geht. Im Vorraum von einer Schwester große Erklärung dass ich mich dann beim setzen der Spinalanästhesie keinesfalls bewegen dürfe, man mich deswegen zu Zweit in einem nach vorn gebeugten Klammergriff festhalten würde. – Ja… hätte man mir ja auch schon mal einen Tag vorher sagen können… aber was hatte ich jetzt für eine Wahl? Keine.
Ich wollte nur noch, dass es endlich vorbei ist. Das Licht war grell, da wuselten jede Menge Leute rum… Reize, die es mir nicht leichter machten. Es gab eine örtliche Betäubung an der unteren Wirbelsäule, schon die Nadeln merkte ich nicht – dann die große Nadel für die Spinale, die ich übrigens kein bisschen gespürt hatte. Erklärte mir man doch vorher, dass ich die trotz örtlicher Betäubung noch merken würde. Tat ich nicht, war mir recht… das Mittel begann zu wirken und ich wurde in den eigentlichen OP-Saal geschoben. Der Operateur war auch mein Frauenarzt. Im Raum standen etwa 10 Leute… Schwestern und noch so ein paar andere, die einfach nur zuguckten, mit einem unterhielt ich mich noch, es wäre erst seine zweite OP, die er begleiten würde.
Dann ging es los, Tücher wurden mir vor’s Gesicht gehangen (ich fand das furchtbar, ich hätte viel lieber gesehen, wie das Kind rausgeholt wird). Es wurde gefragt, ob ich denn gerade dieses oder jenes spüren würde. Ich verneinte. Dann merkte ich ein dumpfes an mir herumruppen. Ich hatte mich im Vorfeld ein wenig mit dem Kaiserschnitt beschäftigt. Guckte mir auch ein OP-Video an. Mir war dann auf dem OP-Tisch liegend klar, dass ist jetzt der Moment nach der ‚Misgav-Ladach-Methode‘.
Dann hörte ich ein „Ohh…!“
Kurze Stille und Hektik vor mir.
Ich wusste, jetzt ist irgendwas.
Einen kleinen Moment später beglückwünschte man mich zu meiner Tochter. Es war 08:31 Uhr. Mein erster Gedanke: „Warum zeigt man sie mir nicht und warum schreit sie nicht?“ Eine Hebamme verschwand sofort mit ihr in einem Nebenzimmer. Dann endlich das für mich sehr erlösende Babyweinen. Diese 2-3 Minuten in denen ich nicht direkt mein Baby sehen konnte, sie kamen mir so endlos lang vor. Dann brachte man sie mir, eingewickelt in ein Handtuch. Man hielt sie an mich heran… ich konnte ihr Gesicht sehen. Es war ziemlich blau. Ich erschrak und begann zu weinen. Man beruhigte mich dann wieder… Baby und Mann verschwanden hoch auf Station. Ich hatte mein Kind nur kurz sehen dürfen.
Ich wurde wieder verschlossen… ein Assistenzarzt begann die blutigen Tücher durchzuzählen und wegzuräumen. Ich sprach ihn an und scherzte, ob er sich auch nicht verzählt habe. Sichtlich erschrocken, dass ich das überhaupt so mitbekam und auch sah, zählte er direkt nochmal durch. Stimmte alles. OP-Besteck sei auch vollständig. Nix vergessen in mir. Dann ging es zum Aufwachraum.

Ein weiterer schlimmer Zeitraum für mich. Hatte man in diesem Krankenhaus noch nichts davon gehört, dass es wichtig ist, dass Mutter und Kind so früh wie möglich beianander sind, um eine Bindung aufzubauen?
Stattdessen lag ich da in einem immerhin etwas abgedunkelten Raum. Mit 2 anderen, die wohl auch aus irgendeiner OP kamen… Ich war so traurig, da allein liegen zu müssen. Die Erinnerung an dieses ‚Ohh‘ und das meine Tochter so blau war. Was war los? Ich lag da komplett verunsichert. Es guckte immer mal eine Schwester nach uns… ich fragte, wann ich endlich zu meiner Tochter könne… ich bekam als Antwort „Wenn ich meine Beine wieder bewegen könne.“
Kein schönes Gefühl… so eine Antwort und du merkst, dass du eben keine Kontrolle über deinen Unterkörper hast.
Ich war nun gedanklich so darauf fokussiert Muskeln anzuspannen, um endlich wieder die Beine bewegen zu können… eine halbe Stunde verging… dann endlich die Füße und langsam auch etwas die Knie anheben. Nun wurde ich endlich nach oben auf Station gebracht. Meine Tochter hatte mittlerweile eine normale Hautfarbe.
Die ersten Stillversuche klappten nicht. Die Stillbeauftragte war auch nicht gerade einfühlsam. So eine vom alten Schlag, dass ich mich doof anstellen würde, ungeduldig war sie… das müsse gehen. Aber es ging nicht wirklich gut. Das Kind saugte so unglücklich an meinen Brustwarzen, dass sie schon bald zu schmerzen begannen. Diese Haltung, jene Haltung, Brust so halten, Kind in diesem Winkel… es klappte einfach nicht. Die Brüste schmerzten, weil ja auch nicht viel Milch abgetrunken wurde… Töchterchen bekam dann nun das Fläschchen und ich versuchte das mit dem Abpumpen. Das ging. Und ich war glücklich, dass sie dann also doch meine Milch bekommen kann.
Der Frauenarzt kam dann auch am Tag darauf zu mir.
Wundkontrolle und dann sagte er es…
„Es ist gut gewesen, dass Sie sich für einen Kaiserschnitt entschieden hatten, es hätte unter einer natürlichen Geburt definitiv Schwierigkeiten gegeben und die Gesundheit des Kindes hätte nicht garantiert werden können.“
Ich sachlich (vermutlich auch geschockt über das was er gerade sagte): „Warum?“
Er: „Es lag eine straffe 3-fache Nabelschnurumwickelung direkt um den Hals vor!“
Ich: „…“
Ich brachte kein Wort mehr heraus. Und dann ging er…
Bämm! Das hat gesessen. Ich war schockiert. Mich überranten meine Gefühle. Ich lag glaube ich eine ganze Weile nur teilnahmslos da… starrte leer vor mich hin. Das Kind in einem Plastik-Bettchen auf Rädern neben mir.
Ich hatte also recht. Meine Wahrnehmung war richtig!
Meine Sorge und Angst begründet!
Man nahm mich einfach nicht ernst!
Ich war wütend. Hilflos. Traurig. Verunsichert.

Ein ‚hätte-wäre-wenn‘ begann in meinem Kopf.
Hätte sie es überhaupt bis zum errechneten Geburtstermin überlebt?
Oder auch nur einen Tag länger?
Wäre Mittwoch schon zu spät gewesen?
Was wäre gewesen, wenn ich mich doch zur natürlichen Geburt entschlossen hätte?
Hätte ich mein Kind ganz verloren?

Ich war traumatisiert.

Die nächsten Tage im Krankenhaus waren auch nicht hilfreich. Diese Stillschwester, die es nicht dabei belassen wollte, dass ich mit dem Abpumpen zufrieden war, nein, ich musste das Kind immer wieder anlegen. Die Folge: wieder wunde Brustwarzen und ein schreiendes Baby, weil es keine Milch bekommt.
Ich war mit allem überfordert. Man unterstützte mich nicht, ich bekam nur zu verstehen, dass ich mich nicht genug anstrengen würde…
So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Gesellschaft und Medien suggerieren einem ja auch nur das perfekte Bild von Schwangerschaft, Geburt, Stillen und all dem anderen tollen Mutter-Kram.
Nach 4 Tagen gab die Stillbeauftragte dann auf und ich wurde in Ruhe gelassen mit erneuten Still-Versuchen. Ich pumpte regelmäßig ab… ziemlicher Aufwand… und fütterte meine Tochter über die Flasche mit der eigenen Milch. Es war okay für mich. Nach einer Woche durfte ich dann heim.
Das zog ich dann 6 Monate lang durch. In der Zeit schlief ich nicht viel. Immer nur Stundenweise. Hatte ich doch diese Doppelbelastung aus Abpumpen und füttern.
Was noch hinzu kam…
Exakt 8 Wochen nach der Geburt bekam ich in einer auf Asperger-Autismus spezialisierten Abteilung einer Uniklinik die Diagnose gestellt. Meine Tochter hatte ich mit dabei.
Bald darauf stürzte ich in eine heftige Depression und auch Zwangsgedanken entwickelten sich. Vermutlich ausgelöst durch die Hormonumstellung nach der Geburt. Auch hier wieder… wirkliche Unterstützung/Hilfestellung bekam ich nicht vom Frauenarzt und um das alles allein in die Wege zu leiten, vergeblich zu telefonieren, nur um auf mehrmonatigen Wartelisten zu landen… nach 2 Versuchen hatte ich keine Kraft mehr dafür.
Ich kämpfte mich allein da durch.
Die Diagnose Autismus… das traumatische Geburtserlebnis… eine sich wirklich unmöglich benehmende Schwiegermutter, die sich zu der Zeit auch noch selbst einlud… ich hatte keine Ruhe auch nur annähernd etwas zu verarbeiten.
Ich wurde depressiv. Aber ich bekam das allein hin… ich überstand die Zeit der Zwangsgedanken (gut für eine schöne Mutter-Kind-Bindung war das damals nicht)… und irgendwann nach einem halben Jahr ging es mir etwas besser. Ich begann mich mit dem Thema Autismus deutlich mehr auseinanderzusetzen.

Nun sind 5 Jahre vergangen. Das Leben verlief bis hierher auch eher in Strudeln. Mal mehr, mal weniger. Doch jetzt habe ich die Kraft gefunden das alles endlich mal mittels professioneller Hilfe aufzuarbeiten.

Ich freue mich das du bei mir bist.
Und morgen dann… Happy Birthday meine Kleine.

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Paris – I

Paris. Eine Reise und wie ich mich vielen Herausforderungen stellte.
24.09.2015 – 27.09.2015

Das Kursiv geschriebene sind meine Gedanken. Real und ungefiltert.

Doch von vorn.
Montag der 21.9.2015, Nutella hatte gerade zu seinen Gläsern die Aktion, dass es eine 1-Monatige Bahncard 25 Gratis dazu gab. Ok. Gekauft.
Paris hatte ich im Hinterkopf. 2001 war eh schon viel zu lange her. Also Paris. Ich mache das!
Am Abend dann etwas im Web gesurft, ob das denn passen wird wettertechnisch. Sieht gut aus.
Dienstag 22.09.2015. Auf in die Stadt zum DB-Schalter. 20 Minuten Wartezeit. Keine Sitzgelegenheit. Dann war ich dran. Die Dame war sehr nett, kam ebenfalls gebürtig aus dem Osten, wie sich herausstellte. Diesen Nutella-Gutschein hingegeben. Bahncard-Ausdruck bekommen. Hatte ohne Probleme geklappt. „Wo soll es denn hingehen?“ – „Nach Paris bitte. Übermorgen. Ab hier. Rückfahrt am Sonntag.“ Wildes tippen im Computer. Basel – Paris Verbindungen… 3 Stunden. Dann der Einwurf der Dame: „über Karlsruhe wird es aber um einiges günstiger, weil das dann direkt über DB läuft.“ Hm. 3 Stunden länger. Egal. Ich mag Zug fahren. Ich muss sowieso sparen. „Ok. Machen wir.“ sagte ich. Tickets wurden gebucht und ausgedruckt. Europa-Spezial Frankreich. Hin- und Rückfahrt für 156,-€. Kann man wirklich nicht meckern.
Zufrieden ging ich aus dem DB-Büro. Doch mir war etwas flau im Magen. Scheisse. Und wo schlaf ich eigentlich?
Dienstag Mittag… und Donnerstag früh bei Zeiten sollte es losgehen. Also günstige Hostels recherchiert. AirBnB nachgeguckt. Ist auch noch was frei. Aber hab ich dieses Mal keine Nerven für. Die Liste mit den Hostels nehm ich sicherheitshalber aber mit. Sicher ist sicher. Abenteuer! Oder einfach nur gewagt und dumm? – Nix da, ich schaffe das!
Auf nach Paris ohne gebuchte Unterkunft!
Mittwoch… Geschlafen hatte ich die Nacht nicht so dolle. Ob das wirklich gut geht? Ich lasse es drauf ankommen. Noch etwas Recherche, was günstiger kommen wird… Tageskarten oder das Carnet. Vermutlich das Carnet. Öffnungszeiten googeln. Ich will endlich mal in den Louvre. Wo Tickets kaufen. Gefunden. Stadtplan auf google Maps anschauen. Grober Überblick. Wo will ich hin… Ganz schön viel. Könnte etwas stressig werden. Aber ich lasse mich treiben. Die Stadt wird mir den Weg zeigen. Meinem Gefühl folgen.
Trekkingrucksack packen. Schlafsack. Paar Klamotten. Wörterbuch. Kamera. Alle möglichen Ladekabel. Buch. Taschenlampe. Taschenmesser. Getränk und BifiRoll. Wechselschuhe.
Rucksack testweise aufsetzen. Kippt etwas nach links. Also alles nochmal neu packen. Jetzt ist es besser.
Schlafen. Vor lauter Aufregung sind es nur 3 Stunden geworden.

24.09.2015
Mit der Regionalbahn ging es bei Zeiten nach BaselBad. Warten auf den ICE. Verwirrung auf dem Bahnsteig. Wagenplan studieren. Abfahrtszeiten vergleichen. Der ICE der gleich einrollt ist es nicht. Doof gemacht.
Ich sehe viele verwirrte Gesichter. Jung wie alt. Mann wie Frau. Der ICE fährt ein. Doch das ist nicht meiner. Ist das wirklich nicht meiner? Ruhig bleiben, ich hab 3x auf den Plan geguckt – Wagennummern sind auch nicht identisch. Die Anzeigetafel scheint sich nicht entscheiden zu können, welchen ICE sie anzeigen soll. 100%-ig sicher bin ich mir auch nicht, dass das wirklich der falsche ICE ist. Restrisiko 5%.
Ein junger Mann will gerade hastig einsteigen, dreht sich zu mir um und fragt „Karlsruhe?“ Ich schüttele den Kopf. In diesem Moment springt die Anzeige wieder um. Jetzt ist mein ICE ausgewiesen. Abfahrt in 1 Minute. Es kommen Menschen angerannt und hechten in den Zug. Die Türen schließen sich. Eine Frau will wieder aussteigen. Doch da rollt er schon los.
Der Bahnsteig ist fast komplett leer. Der junge Mann lächelt mir noch einmal erleichtert zu, dass er nicht zu denen gehört, die falsch eingestiegen sind. Ich lächele zurück.
Das war dann wohl meine gute Tat für heute.
Warten. Und warten. Minuten werden zu einer gefühlten Ewigkeit.
Das ist doch jetzt nicht wahr. Verspätung. Ich hab doch nur 15 Minuten Umsteigezeit zum TGV in Karlsruhe. Fuck. Auf den Füßen vor und zurück wippen. Eine Durchsage. Triebwagenprobleme. Verzögerung ca. 20 Minuten. Wie soll ich das denn schaffen? Ich bin den Tränen nahe. Soll es das jetzt gewesen sein? Ich bin doch noch gar nicht weit gekommen. Paris in weiter Ferne. 15 Minuten nach Planmäßiger Abfahrtszeit rollt der ICE ein. Geänderte Wagenreihung. Egal. Er ist da. Ich bin erleichtert und für den ICE bis Karlsruhe hab ich sowieso keine Sitzplatzreservierung. Platz am Fenster bekommen. Die Begrüßung tönt durch die Lautsprecher. Der Lokführer will versuchen etwas Zeit aufzuholen. Ich bin wieder etwas zuversichtlicher. Keine weiteren Besonderheiten auf der Fahrt. Toller Sonnenaufgang. Er hat tatsächlich Zeit gut gemacht. Karlsruhe HBF. Hässlich wie eh und jeh. Dafür nun wieder mit 7 Minuten Umsteigezeit. Easy.
Da steht er ja schon. Der TGV. Meine Sitzplatzreservierung rauskramen. Wagen 18. Der ganz vorn. Das erste mal TGV. Da bin ich also mit meinem sperrigen Rucksack direkt ins Abteil. Mein Platz. Da sitzt bzw. schläft eine junge Frau. Was macht sie da? Hab ich mich im Wagen geirrt? Ich gehe noch einmal zurück, um mich zu vergewissern. Den Stau den ich im Abteil fabriziert hatte, erstmal vorbei lassen. Ich bin richtig. Ich zücke also mein Ticket, nehme allen Mut zusammen und versuche die Frau freundlich aber bestimmt zu wecken. Französisch spricht sie. Mit deuten auf mein Ticket und einem „Voiture 18“ darauf hinweisen, wo wir hier sind. Sie holt ihr Ticket hervor. Aha. Falscher Wagen. Sie muss in die 16. Der TGV rollt los. Ziemlich wackelig und ständig geht diese doofe Tür zu. (Mein Sitzplatz war direkt am Fenster, Abteileingang oben rechts) Hat mich 1x eigeklemmt mit meinem Rucksack. Absetzen und noch irgendwie mit in die überfüllte Gepäckablage vor dem Abteil stopfen. Kann zumindest nicht herunterfallen.
Endlich. Ich sitze. Tiefes durchatmen.
Der Herr neben mir bemerkt meine Erleichterung. Ein kurzes Hallo und guten Morgen. Die erste Zeit schaue ich interessiert aus dem Fenster. Ich bin zufrieden. Ich liebe das, wenn die Welt so vorbei zieht.
Der Herr neben mir kramt sein Frühstück hervor. Man hab ich hunger. War das nervenaufreibend bisher. Mein Essen und Trinken sind im Rucksack. Haha. Nein. Ganz toll gemacht. Aufstehen will ich jetzt aber nicht. Ich will ihn nicht beim frühstücken stören. Mhh… riecht sein Brot lecker. Doch aufstehen? Ich blieb sitzen.
Eine schöne Landschaft da draußen. Gefällt mir. Unterwegs in Richtung Strasbourg.
Nach seinem Frühstück holt er seinen Laptop aus seiner Tasche und schaltet ihn ein. Ok. Sehr gut. Hab ich Glück, wenn er arbeiten will. Ich schaue weiter aus dem Fenster. Höre tippen von nebenan.
Dann spricht er mich an. „Sind sie beruflich unterwegs?“ Warum tust du das? Du hast deinen Laptop gerade aufgeklappt. Willst du nicht lieber arbeiten? Warum? Warum sprechen mich nur immer alle an?? Ja ich weiß… das sympathische Mädel von nebenan. Oder ist es doch meine autistische Distanziertheit, die wie ein Mysterium – auf vorwiegend Männer, zumeist mindestens 10 Jahre älter – wirkt?
„Nicht direkt. Ich möchte Fotos machen.“ Nein, warum tue ich das? Warum kann ich nicht einfach lügen? Es geht nicht. Jetzt hab ich sein Interesse geweckt. Toll. Smalltalk in 3..2..1…
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste… ich sollte mich bis Paris mit ihm unterhalten. Ein Smalltalk-Profi, wie sich schnell herausstellte. Ich nehme die Herausforderung an, vielleicht kann ich was lernen. Einfach Augen zu und durch.
Ich erfuhr also, was er beruflich machte. Warum er heute nach Paris fährt. Ich erfuhr interessante Sachen, langweiliges oder aber auch wissenswertes. Ich weiß nun, wie man die günstigsten Flüge nach Denver bekommt.
Ein Vorort. Der TGV hält recht abrupt. Ziemliche Bremsung. Mein Abteil, also das Erste… genau auf einer Brücke. Unruhe im Zug. Scheint nicht geplant zu sein. *Pschhhffschhh…* Klingt, als wenn der Zug ausgemacht wurde. Lichter gehen auch aus. Ich gucke nach unten. Geht sehr tief runter. Mein Hirn rattert und spielt alle möglichen nun kommen könnenden Situationen durch. Mein rechter Mittelfinger flattert gegen die Handinnenfläche. Ich ziehe meinen Ärmel vom Pullover etwas mehr hinunter. Ich will nicht, dass der sympathische Herr neben mir das mitbekommt. Dennoch scheint er meinen Stresspegel zu bemerken. Er verwickelt mich wieder in ein Gespräch. Danke. Zusammenreißen und nicht weiter stressen. Anderer Fokus.
*Pfffschhhhtrrrrrr…brummm… krschhhpschhh* Das Licht geht wieder an. Bald schon rollen wir langsam weiter. Bis zur Stadt.
Strasbourg. Sieht toll aus. Wunderschön. Der Dom. Ich staune. Mein Sitznachbar erzählt mir ein wenig über die Stadt.
Hauptbahnhof. Emsiges aus und einsteigen. Ich beobachte eine Frau am Gleis, die noch jemandem hinterher winkt, als wir wieder langsam losrollen. Weiter geht’s.
Jetzt kommen wir auf die Hochgeschwindigkeitstrasse. Sieht ziemlich neu aus. Uuuh… Beschleunigung. Ordentlich. Ein Raunen geht durch’s Abteil. Die Anzeige springt auf die km/h Angaben. 315 km pro Stunde. Ich schaue aus dem Fenster. So schnell. In der Ferne langsam. Spitzenwert waren 322km/h für etwa 2 Minuten.
Schon bald waren die ersten Flugzeuge zu sehen. Wir kamen Paris immer näher. Nun wieder etwas Tippen von links. Kurz durchatmen. Bis ich ihn auf ein tieffliegendes Flugzeug aufmerksam mache. Es sieht so aus, als wenn der Zug immer schön parrallel neben her fährt. 317km/h. Landeanflug auf Charles-de-Gaulle. Der TGV in Richtung Paris Est. Nicht mehr weit. Unruhe im Abteil. Die ersten räumen zusammen. Der Herr und ich bleiben noch gute 5 Minuten entspannt sitzen. Genießen den Ausblick. Nur noch wenige Worte jetzt. Dann machen auch wir uns zurecht und in Richtung unserer Gepäckstücke auf. Im Gang stehen. Ungeduldige Fahrgäste. Ich positioniere mich so, dass ich gut aus einem Fenster sehen kann.
Da ist es. Paris. Ich bin tatsächlich hier.
Der TGV rollt langsam ein. Gleiswechsel. Es schaukelt heftig. Währenddessen haue ich meine rechte Hand an einem Fahrrad an. Das tat weh. Schmerz. Augen schließen. Tief durchatmen. Ich bin hier. Jetzt. Ich akzeptiere die Situation. Gehört mit zu meinem Abenteuer. Der Zug hält. Türen öffnen sich. Wir strömen heraus. Ein Pulk der sich seinen Weg bahnt. Zwischendrin immer wieder glückliches Wiedersehen. Freude anderer Menschen. Noch ein kurzer verabschiedender Blick von dem Mann, der neben mir saß. Unsere Blicke verlieren sich in der Masse. Jeder geht seinen Weg.

weiter mit Teil II

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