Können Autisten Auto fahren?

Ja natürlich können Autisten das, wenn sie es wollen. Warum auch nicht?
Wie wir ja nun alle gelernt haben, sind Autisten nicht alle gleich und entsprechen nicht immer dem gängigen Klischee. Es ist ein Spektrum und jeder hat so seine eigenen Stärken und Schwächen.
Auch unter Autisten gibt es diejenigen die gern Auto fahren, aber eben auch welche die das aus sonstigen Gründen nicht tun.
Sicher, als Autist hat man einige Herausforderungen mehr zu händeln, als das bei Nicht-Autisten der Fall ist. Aber es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, warum man Autisten vom Auto fahren abraten oder es ihnen nicht zutrauen sollte.

Ich berichte nun einfach mal, wie das bei mir so war bzw. ist.
(Zur Erinnerung: Meine Autismus-Diagnose erhielt ich erst mit 28.)

Ich machte meinen Führerschein mit 18 in einem Ferienkurs. Es war ein Kurs, der über zwei Schulferien verteilt war.
Rückblickend muss ich wirklich sagen, dass das für mich die idealste Lösung war. In den ersten Ferien (es waren Herbstferien) hatten wir jeden Tag 4 Stunden Theorie-Unterricht. Geballtes Wissen und nicht über mehrere Wochen dahergeplätschert. Ich konnte mich allein darauf fokussieren und lernen. Am Ende der Ferien gab es dann die Theoretische Prüfung. Bestanden im ersten Anlauf ohne Fehler. Wer nicht bestanden hätte, hätte zu Beginn der nächsten Ferien dann direkt noch die Chance gehabt, das nachzuholen.
In den darauffolgenden Ferien (Weihnachten/Neujahr) gab es dann jeden Tag 2 Stunden lang Fahrtraining. Ich hatte eine Lehrerin, die sehr resolut war, aber mir auch vieles zutraute und mich ‚erstmal machen ließ‘ ohne von vornherein belehrend zu sein. Erst wenn ich etwas nicht konnte, erklärte sie sachlich und gab hilfreiche Tipps.
Eine der Autobahnfahrten… ich weiß noch dass ich fragte, wo wir hinfahren würden und sie nur sagte: „Fahren Sie einfach.“ Das tat ich dann. Die Fahrlehrerin neben mir machte die ganze Zeit einen ziemlich ruhigen Eindruck. Irgendwann fragte ich mal, ob ich denn mal wieder langsamer fahren solle (es war ein ziemlich langes Stück freigegeben – ich nutzte die Gelegenheit), hier bekam ich auch nur eine knappe Antwort: „Nein, Sie machen das gut so.“ – Ich weiß jetzt nicht ob das üblich ist, dass man als Fahranfänger mit dem Auto (es war ein Audi A1) mit 180 km/h so ‚herumheizen‘ kann, ohne das der Fahrlehrer einen Ton sagt.
Jedenfalls merkte ich damals, dass mir besonders Autobahnfahren sehr viel Spaß macht und auch liegt. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Aber noch einmal kurz zurück zu diesem Ferienkurs…
Auch hier empfand ich es als sehr angenehm, dass wir Teilnehmer jeden Tag Fahrstunden hatten. Ich konnte mich ziemlich schnell auf das Auto einstellen und wir übten diverse Standardprüfungselemente. Gegen Ende der Ferien stand dann auch die praktische Prüfung an. Ich war sehr nervös. Hieß es doch auch, dass der Prüfer des Tages wohl ein besonders strenger sein solle. Aber meine Fahrlehrerin beruhigte mich und sprach mir Mut zu, dass ich alles gut könne, wir alles geübt haben und ich zuversichtlich sein solle. Während der Prüfung kamen wir an einigen schwierigen Kreuzungen vorbei, aber ich bekam alles gut hin. Letztlich bestand ich dann „sehr sicher“, so die Worte des Prüfers.

Ich besitze zwar kein eigenes Auto, aber meine Fahrangebote (zB Partner) wurden immer gern angenommen. Wenn ein Auto ganz neu für mich ist, stürze ich mich nicht gleich in den Stadtverkehr, sondern teste ertsmal kurz auf einem Parkplatz o.ä. an, wie es sich verhält. Beschleunigt, abbremst etc. Da ist ja auch jedes Auto anders und hat immer sein ganz eigenes Feeling. Da brauche ich 2-3 Minuten um mich einzugewöhnen.
Ich halte mich für eine ziemlich gute und sichere Fahrerin. Bisher habe ich auch noch nichts Gegenteiliges gehört. Ich habe schon in einigen wirklich sehr gefährlichen Situationen auf der Autobahn intuitiv richtig reagiert, was den Umgang mit dem Auto angeht und so auch (vermutlich) schlimme Unfälle verhindert. Das ich nach sowas dann dennoch fertig war, das ist denke ich normal. Das würde auch Nicht-Autisten so gehen. Nächsten Parkplatz aufgesucht und erstmal Pause gemacht.
Liegt aber sicher auch mit daran, dass wie oben schon beschrieben, mir Autobahnfahrten wirklich Spaß machen.
Je höher meine Geschwindigkeit, desto konzentrierter bin ich. Wenn es das Auto hergibt, dann fahre ich auch gern mal 200 an entsprechend freigegebenen Stellen. Im Gegensatz zum Stadtverkehr finde ich die Autobahn auch verhältnismäßig reizarm. Kein Gegenverkehr, keine Ampeln, keine unübersichtlichen Kreuzungen, kein Schilderwald, keine Radfahrer oder plötzlich auftauchende Fußgänger etc.
Auf der Autobahn kann ich sehr vorausschauend fahren oder sehe rechtzeitig andere Autos von hinten herannahen. Ich kann auch oft relativ sicher einschätzen, ‚wie‘ jemand fährt. Sehe ich es doch frühzeitig. Also ob wer ausschert und dann erst blinkt (oder auch gar nicht), in meinen Sicherheitsabstand zum Vordermann einfach mal einschert und meine Geschwindigkeit vollkommen falsch einschätzt oder ob wer herumeiert, weil er abgelenkt ist etc. So kann man schon im Vorfeld einige blöde (und unnötige) Situationen verhindern, weil man sich darauf einstellen kann.
Wer selbst viel Autobahn fährt und das hier liest, der weiß, dass auf deutschen Autobahnen gern mal gefahren wird, als hätten einige den Führerschein im Lotto gewonnen (RW).

Während der Autofahrt höre ich gern Musik. Im Endeffekt hilft es mir sogar dabei mich zu konzentrieren. Meine Playlist habe ich immer auf einem USB-Stick mit dabei. Für mich persönlich ist das ein angenehmer Ausgleich zum Fahren. Es ist dann auch immer wieder eine gewohnte und gleichbleibende Komponente. Radiogedudel mit den Ansagen dazwischen, der Werbung… das würde mich eher nerven.

Navigationsgeräte (mit diesen Fahrspurassistenten für Kreuzungen) sind natürlich auch eine tolle Erfindung. Der Stress entfällt eine Adresse zu suchen oder in einer Stadt in der man sich nicht auskennt, kann man dadurch deutlich sicherer fahren. Auch die voraussichtliche Ankunftszeit und/oder noch zu bewältigende Entfernung können Sicherheit bieten. – Wenn man allerdings einen gewissen Termindruck hat, der trotz ausreichend Zeiteinplanung durch langen Stau oder andere Vorkomnisse dann immer näher rückt… das kann dann u.U. Stress verursachen.

Letztlich ist es natürlich eine sehr individuelle Entscheidung ob es sich jemand zutraut den Führerschein zu machen. Vielleicht ist es ja eine Alternative zum ‚üblichen Prozedere‘, die ich hier beschrieben habe. Solche Intensiv-Ferienkurse gibt es sicher in vielen Städten.


Das Header-Foto zeigt eine Kreuzung vor dem ‚Hôtel de Ville‘ in Paris.

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Paris 2.0 – Tag 1

25.09.2016

(zur Erinnerung… kursiv Geschriebenes, sind Gedanken in diesen Momenten)

Nach einer ziemlich kurzen Nacht schnappte ich mir dann also in aller Frühe meinen deutlich zu schwer geratenen Trekkingrucksack (15kg!) und ging zur Straßenbahnhaltestelle. Sonntags zu dieser Uhrzeit war dementsprechend nichts los und ich konnte die Ruhe genießen. Vorbereitet wie ich war (da die Straßenbahn Sonntags nur stündlich fährt) kam ich natürlich zu früh dort an. Aber lieber so, als anders herum. Die 15 Minuten die ich noch warten musste, vergingen dank mp3-Player (ja ich hab noch so einen Altmodischen mit Batterie – die bekommt man immerhin überall auf der Welt zu kaufen. Das ‚leerer-Akku-Problem‘ habe ich also nicht) recht flott. Und weil die Straßenbahnlinie nicht direkt am Heidelberger Hbf vorbei kommt, lief ich dann also die paar Hundert Meter und ärgerte mich schon hier, dass der Rucksack so schwer geworden war. Nun gut – so war ich wenigstens für alle Eventualitäten vorbereitet. ;-)

Pünktlich 07:48 Uhr ging es mit der Regionalbahn und einem schönen Sonnenaufgang, an diversen Nebelfeldern vorbei, in Richtung Karlsruhe. Kurz 3-4 Sätze mit den Anderen im Abteil über das gröhlende ‚Oktoberfest-Volk‘ amüsiert, dass glücklicherweise in Heidelberg ausstieg und dann machte jeder sein Ding bis Karlsruhe. Hier hatte ich dann noch eine knappe Stunde Aufenthalt, bis mein TGV aus Stuttgart eintreffen sollte.
Ich nahm dann also im kühlen Bahnhof auf einer der Bänke platz. Nach einer weiteren Regionalbahn, die am Gleis hielt füllte sich doch zunehmend der Wartebereich für den TGV. Ausgestiegen war auch ein junger Typ, der dann begann wahllos und unverständlich um sich zu brüllen. „Hallo… Haaaallooooooo… eine Schei**e ist das hier… Haallooooooo“… der junge Kerl auf der anderen Bank neben mir schaute mich auch nur ratlos an und dann lauschten wir beide doch wieder unserer Musik. Nach vielleicht 10 Minuten begann der Typ dann wieder herumzubrüllen… Ich wand mich ihm dann doch zu und fragte, ob man ihm irgendwie helfen könne. Er meinte dann, dass er blind sei und ihn niemand von der Bahn hier abholen würde. So auf diese Art und Weise hier wahllos rumzubrüllen und zu fluchen, bringt dir aber auch nicht die gewünschte Hilfe… Jedenfalls fragte ich dann, wo er hin wolle… Stuttgart… gut. Als ich aufstehen und zum Abfahrplan laufen wollte, gab sich die Frau mir gegenüber aber als Bahnmitarbeiterin zu erkennen (war in Zivil) und nahm sich des Herrn an. War das also gelöst. Abhaken. Toll… fängt ja schonmal aufregend an hier.
Danach sollte ich dann mit dem jungen Kerl von der anderen Bank ins Gespräch kommen. – Noch ca. 20 Minuten bis mein TGV einrollt… Er sah mich etwas länger an und nahm dann seine Kopfhörer von den Ohren…
Er: „Do you speak english?“ Na super… Smalltalk direkt auf english. Also gleich das volle Programm. „I’ll try… but it’s not good.“ Daraufhin begann er zu lachen und meinte nur (auf english), dass das irgendwie alle Deutschen sagen würden… na immerhin hatten wir was zu lachen ;-)
Ich erfuhr, dass er aus Albanien kommt und hier für 1 Jahr arbeitet. Was sich dann auch sehr schnell zeigte war, dass ich mit der Einschätzung seines Alters doch sehr weit daneben lag. Weil ich es nicht glauben konnte, präsentierte er mir dann doch seinen albanischen Ausweis haha… doch erst 20… und ich tippte auf Ende 20 – ups. Das er mich hingegen auf 25 geschätzt hatte… nettes Kompliment, aber als Frau weißt du ja sowieso nie so recht, ob sie nicht absichtlich tief ansetzen ;-)
Im Laufe des Gesprächs fragte er mich, ob ich nach Paris zur Fashion-Week wolle (der TGV nach Paris erschien mittlerweile auf der Anzeige). Mein Outfit würde doch irgendwie danach aussehen. Haha… ich weiß jetzt nicht, ob das ein Kompliment war oder doch was anderes… immerhin war ich doch recht eigenwillig in der Zusammenstellung meines heutigen Outfits ;-)
Wir unterhielten uns dann noch über alles Mögliche und ich konnte ihn einige Dinge über Albaniens Kultur und Land & Leute fragen – ich gab ihm im Gegenzug noch ein paar Tipps, was er sich hier in der Gegend unbedingt ansehen solle… Alles in allem ganz unterhaltsam und die Zeit verstrich ziemlich schnell. War also nicht so tragisch, dass keiner meiner Twitter-Follower Zeit für ein kurzes Treffen hatte.

Dann kam auch schon seine Bahn und nur kurze Zeit später fuhr mit 5 Minuten Verspätung 09:37 Uhr auch mein TGV ein. Ich hatte zunächst ein wenig Sorge, ob ich nicht im komplett falschen Gleisbereich stehe, denn laut Wagenstandsanzeiger gab es gar keinen Wagen 8, so wie es aber auf meiner Reservierung stand… nur Wagen 16… auf gut Glück stellte ich mich dann einfach da hin. Und lag mit meiner Einschätzung doch fast richtig. Zu meiner Verwunderung war ich doch recht entspannt in der Hinsicht, schon meinen Platz im Zug zu finden, obwohl der Wagon nicht ausgewiesen war. Ein klarer Fortschritt zu letztem Jahr… da war ich doch deutlich nervöser, als da die Sache mit dem Zug ebenfalls unübersichtlich verlief.
Dieses mal fand ich dann auch meinen Platz ziemlich schnell. Leider bekam ich durch die kurzfristige Buchung nur noch in der unteren Etage einen Platz. Vierer-Sitz mit Tisch in der Mitte, ganz am Ende des Wagens. Mit auf meinem Sitz lag quer ein kleiner Junge, der gerade schlief. Einmal wecken bitte. Die Familie die mit mir dort ihre 3 Plätze hatte, war ganz nett. Nur wenige Worte auf english (haha – was sonst) zur Begrüßung und dann sprachen sie untereinander wieder eine dieser arabischen Sprachen. Kenne mich da leider nicht aus und nachgefragt hatte ich auch nicht. Ich war ganz froh, während der Zugfahrt dieses mal keinen Smalltalk halten zu müssen.

Bei strahlendem Sonnenschein fuhren wir also in Richtung Frankreich. Mit noch immer leichter Verspätung kamen wir 10:20 Uhr in Strasbourg an. Hier bemerkte ich schon deutliche Veränderungen zum Vorjahr. Wesentlich mehr bewaffnetes Militär an jedem Gleis, staatliche Polizei, Bahnhofsschutzpolizei und auch zusätzlich noch Sicherheitspersonal. Ist doch noch immer Ausnahmezustand aufgrund der ganzen vergangenen Anschläge. Hier sah ich es zum ersten mal mit eigenen Augen und es rief mir die Bilder vom November des letzten Jahres ziemlich schnell vor Augen. Aber nicht weiter dran denken… wird schon alles gut gehen.
Insgesamt merkte ich aber, dass ich seit ich im TGV saß, deutlich entspannter war. Der Zug fährt schließlich bis Paris. Ich werde also definitiv ankommen. Auch heute hielten wir kurz vor Strasbourg außerplanmäßig, aber das machte mir dieses mal gar nichts aus und ich blieb vollkommen unbeeindruckt. Kein Vergleich zum letzten Jahr. Schöne Entwicklung.
Wenig später rollte der TGV 9576 (übrigens exakt der Gleiche wie 1 Jahr zuvor) weiter und nahm bereits kurz hinter Strasbourg ordentlich Fahrt auf (hier bereits 296 km/h). Gab es doch eine erfreuliche Neuerung. Die Fahrzeit mit dem TGV verkürzte sich um eine halbe Stunde zum Vorjahr. Also dauerhaft ordentlich Gas geben bis Paris auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke.
Dieses Jahr kam noch dazu, dass mein Sitzplatz Rückwärts zur Fahrtrichtung war. Das war in der ersten Minuten der ganzen Beschleunigung ein doch recht ungewohntes Gefühl, legte sich dann aber rasch. Was mich aber auch in diesem Jahr immer wieder erschreckt hatte, waren die Momente in denen wir mit 320 km/h an einem uns entgegenkommenden TGV (der vermutlich genauso schnell unterwegs war) vorbei donnerten. Donnern ist hier wirklich ein passendes Wort, denn der erste ‚Knall‘ ist doch recht laut und der seitliche (kurze) Druck an der Scheibe ebenfalls etwas unangenehm. Aber das alles dauert vielleicht nur 2-3 Sekunden. Kommt nur eben ohne Vorwarnung.
Auch wenn ich heute landschaftlich von der unteren Etage aus leider nicht so viel schauen konnte, bemerkte ich aber doch, dass je näher wir Paris kamen, der Himmel sich zunehmend verdunkelte. Super. Stand so mal überhaupt nicht im Wetterbericht. Kann ich nicht gebrauchen, auch wenn ich drauf vorbereitet bin. Doch leider begann es, als wir die ersten Vororte erreichten doch heftig zu regnen und hielt bis Paris an.
Als wir pünktlich 12:05 Uhr am Gare de l’Est ankamen stülpte ich meinem Rucksack gleich die eingebaute Regenschutzhülle über. Was dann aber (zum Glück) völlig unnötig war, da es nur noch vereinzelte Tröpfchen nieselte, als ich den Vorplatz des Bahnhof betrat.
Was mich hier stattdessen erwartete war ein ziemliches Hupkonzert und jede Menge Polizei. Sowie Absperrungen und Autos die aus dem Zentrum kamen, aber nicht hinein durften.
Ich twitterte gleich, was hier los war und bekam doch zum Glück auch schnell einige Antworten. Natürlich. Autofreier Sonntag. Zum zweiten Mal. – War letztes Jahr doch genau das Gleiche – wie ich das nur vergessen konnte. Also nichts passiert. Kein Anschlag oder ähnliches. Erleichterung!

Mit Sack und Pack machte ich mich auf in Richtung ‚Le Marais‘. Einfach nur dem BD de Strasbourg folgen und irgendwann links in eine der Straßen abbiegen. Bei Tage sieht das Viertel ganz anders aus als Abends. Schon sehr faszinierend. Durch den Autofreien Sonntag sogar noch deutlich verlassener. Der feuchte Boden tat sein Übriges dazu. Eine ganz besondere Stimmung. Ein paar Fotos hier… ein paar Fotos da. Im Viertel gab es einiges an neuer Streetart zu entdecken. Der Blick weiter nach oben an den Wänden lohnt sich also. Ich laufe durch diverse Gassen weiter bis zum Place des Vosges. Ein schöner Park. Perfekt um mal ein wenig durchzuschnaufen. Danach geht’s weiter über die Rue St. Antoine und mache noch eine kleine Foto-Visite in der St.Paul-St.Louis Kirche. Kann ich jedem nur empfehlen. Tolle Architektur!
Weiter vorbei an verschiedenen Modeboutiquen und hier hatte ich dann auch meinen ersten intensiveren Blickkontakt (viele von euch wissen ja, dass ich damit keine Probleme mehr habe), mit einem Herrn der dort in einem Eingang stand. Wer als Frau schonmal allein in Paris unterwegs war, der weiß sicher was ich meine. Heißt nicht umsonst ‚Stadt der Liebe‘. Jedenfalls nahm ich das dann auch direkt als Anlass, genau das zu genießen und mitzuspielen. Nach der Trennung tut’s schließlich auch einfach mal gut, Männer noch immer mit nur einem Blick dazu bringen zu können, dass sie auch nicht mehr wegsehen wollen! ;-)
Nun aber weiter zum Maison Européenne de la Photographie, aber da ich ja noch den ganzen Kram mit mir herumschleppe, gehe ich noch nicht rein. Nehme allerdings begeistert zur Kenntnis, welche Fotografen zu sehen sind. Steht also auf der Liste. Vor mir noch 2 Herren mit ihren Hunden… click – Foto. Lustige Szene.
Hier in diesem Moment entscheide ich mich dann auch dazu, es beim Hotel vom letzten Jahr einfach nochmal zu probieren. Die Leute waren schließlich sehr nett. Also ab in die Metro. Am Hotel angekommen gleich ein bekanntes Gesicht und ich werde sogar wiedererkannt. Perfekt. Zimmer ist auch noch frei. Für mich wird sogar noch ein wenig die geplante Belegung umsortiert und ich bekomme ein Zimmer, neben dem vom letzten Jahr. Supi. Preislich bekomme ich auch wieder einen kleinen Nachlass. Ein freundliches Lächeln und kurzer Smalltalk zeigen Wirkung.
Also hoch auf’s Zimmer. Endlich den schweren Rucksack ablegen und feststellen, dass sie renoviert haben. Schick geworden und mein Bad ist größer, als im letzten Jahr ;-)
Ich gönne mir eine halbe Stunde Ruhe, packe meine Umhängetasche neu und dann geht’s mit der Metro zur Pont Neuf, um ein wenig an der Seine entlang zu schlendern. Es gibt einiges an Kunst mit Umweltbezug zu sehen. Ein besonderer Publikumsmagnet ist eine ziemlich große Luftaufnahme von Paris, die auf der Straße angebracht ist. Ich nehme es im ersten Moment gar nicht richtig wahr und wundere mich, warum die Leute so nach unten schauen – bis ich selbst meinen Blick senke. Schöne Idee, diese Art der interaktiven Kunst.
Hier nehme ich mir auch noch einmal die Zeit und setze mich ans Ufer, genieße die Sonne und beobachte ein wenig die Menschen… Ziemlich flott war dann auch schon wieder eine halbe Stunde um. Weiter ging es dann oben an der Straße. Vorbei an den diversen Malern entlang des Louvre.
Am Tuileries steige ich wieder in die Metro. Ich will noch zum autofreien Champs-Élysées.
In der Metrostation habe ich auch meine Begegnung mit dem Herrn, der erst neben mir auf die Bahn wartete und dem ich dann im Wagen gegenüber saß. Wirklich unglaublich feine und elegante Kleidung. Grandioser Stil und eine Ausstrahlung, die etwas sehr faszinierendes hatte. Aus seinem Stoffbeutel ragt ein Schneiderlineal hervor, dass mich dann endgültig überzeugt hat, dass er Modedesigner sein muss. Hm, bei dem verdammt teuer aussehenden Schmuck, den er da am Handgelenk trägt, ist es wohl der ‚Meister‘ selbst. Aber da ich nunmal kein Paparazzo bin und auch keinen Wert auf diese Mentalität lege, habe ich ihn natürlich nicht gefragt, wer er ist oder gar offensichtlich irgendwelche Fotos gemacht. Lediglich eines, als ich die Kamera auf dem Schoß hatte. Wirklich wohl fühle ich mich aber auch dabei nicht… diese Art der heimlichen Fotografie ist einfach nicht mein Stil. Natürlich auch nur, um hinterher dann festzustellen, dass ich das Gesicht nicht komplett mit drauf habe. Ich hatte gehofft, hinterher mit Hilfe von google selbst herauszufinden wer das denn nun war.
– Mein Angebot steht daher noch – wer mir als Erstes sagen kann, welcher asiatisch aussehende Modedesigner das ist, darf sich eines der Fotos (die auch noch kommen werden) als Print aussuchen. Es lässt mir doch einfach keine Ruhe. ;-)
Am Arc de Triomphe angekommen ein nettes Bild entlang der Allee. Zwar Menschen ohne Ende, aber definitiv ein faszinierender Anblick so ganz ohne Autos. Aber auch hier bemerke ich ziemlich schnell einen heftigen Unterschied zum letzten Jahr. Deutlich mehr Militär und bewaffnete Polizei. Auch vor den einzelnen Geschäften selbst noch einmal Sicherheitspersonal und teilweise auch Metalldetektoren. Das gab es im vergangenen Jahr alles noch nicht. Jeder der auf die Champs-Élysées will, wird kontrolliert an einer der diversen Absperrungen. Aber alles läuft mit französischer Ruhe ab. Es ist einfach so und wird akzeptiert. Man möchte schließlich weiter das Leben genießen. Als Einschränkung empfinde ich das jedenfalls nicht. Im Gegenteil, es beruhigt.
Jedenfalls beschließe ich, mich nicht zu sehr an den vielen Menschen zu stören – ich habe ja auch damit gerechnet – also keine Überraschung. Ich folge also der Straße nun wieder in Richtung Place de la Concorde. Es herrscht schon fast eine Art Feststimmung auf der Straße. Es gibt viele Künstler, Tänzer und Musiker, um die sich immer wieder Menschentrauben bilden. Auch ich bleibe immer wieder stehen und schaue bzw. höre zu. Die Stimmung ist wirklich sehr locker. Kennt man von Deutschland nicht unbedingt. Einige picknicken auch mitten auf der Champs-Élysées. Witziger Anblick und ein Zeichen dafür, dass die Pariser das Leben weiterhin genießen.
Am Place de la Concorde dann angekommen entstand auch das Titelbild des heutigen Beitrages.
Eine wahnsinnig lange Zeltkonstruktion genau vor dem Garten, mit der Aufschrift ‚Paris sur Mode‘. Die Fashion-Week sollte schließlich bald losgehen.
Langsam begann auch die Dämmerung und ich fuhr noch einmal zum Hotel um mein Stativ für die Langzeitbelichtungen heute Nacht zu holen. Beim Umsteigen in der Metro kam ich auch an einem Streichorchester vorbei, das schon von weitem zu hören war. Auch hier lauschte ich noch eine ganze Weile. Aber nun wieder weiter. Die Nacht wird lang. An der Rezeption hat die Schicht gewechselt. Auch hier wieder ein bekanntes Gesicht. (Hi Muri – I know you’re reading this! ;-) ) Ein kurzer Plausch und dann raus in die Nacht.
Mit der Metro bis Alma Marceau. Hier noch direkt am Metro-Ausgang selbst die erste Langzeitbelichtung. Natürlich nicht ohne für einiges Staunen zu sorgen, wie kunstvoll ich doch mein Stativ auf der Treppe mit Blick nach oben aufstelle. Aber die Pariser sind freundlich und geduldig in diesem Moment und rennen mir nicht durch’s Bild. Merci beaucoup. Foto fertig – der Schwung kann durch. Nun noch 2-3 weitere Aufnahmen und dann weiter. Von hier habe ich dann auch meinen ersten Blick auf den beleuchteten Eiffelturm dieser Reise. Immer wieder wunderschön. An diesem Bild kann man sich einfach nicht satt sehen. Ich mache ein paar Aufnahmen und probiere noch ein paar experimentelle Dinge aus, die dann auch wirklich ein grandioses Ergebnis liefern.
[Leider gestaltet sich das mit der Erlaubnis von der SETE etwas schwieriger, als erwartet und so muss ich die Aufnahmen später nachreichen, wenn ich endlich deren Erlaubnis habe, den beleuchteten Eiffelturm hier zeigen zu dürfen. Auf eine Abmahnung wegen deren Copyright am beleuchteten Eiffelturm habe ich nämlich keine Lust. Kunst ist eben nicht so einfach ;-) ]
Kurz vor der Passerelle Debilly sehe ich, dass auf der Brücke gerade geshootet wird. Ein Model in einem riesigen roten Plüschherz. Als ich dann dort ankomme, sind sie gerade fertig und ziehen weiter. Auf der Brücke treffe ich auf eine junge Engländerin, die ebenfalls allein unterwegs ist. Ich helfe ihr bei einem Foto vom Eiffelturm und wir kommen noch ein wenig mehr ins Gespräch. Sie ist zum ersten mal in Paris und ich erkläre ihr, dass sie hier noch ein wenig mit mir warten soll, weil es sich lohnen wird. Pünktlich 22 Uhr begann dann auch wieder das Funkeln. Wusste sie gar nicht und dementsprechend war sie begeistert. In der Zwischenzeit mache ich weiter meine Aufnahmen. Als ich fertig bin werde ich von einem Mann angesprochen, ob ich nicht auch noch schnell ein Foto von ihm und seinem Sohn machen könne. Natürlich. Kein Problem. Danach ziehe ich weiter über die Quai Branly.
Ziemlich mutig positioniere ich mein Stativ auf der Straße, immer in der Hoffnung eine größere Auto-Pause abzupassen. Die Lücken in den Baumwipfeln lassen einen anderen Standort nicht zu. Mein Blick ist die ganze Zeit nach Hinten gerichtet, um nicht doch überfahren zu werden. Bei jedem Schwung Autos also schnell das Stativ und mich mit 2 Schritten wieder an die Seite gestellt. Die Aktion dauerte dadurch natürlich ein wenig länger. Erst einmal die perfekte Position finden. Dann Autos. Danach dann Kamerawinkel einstellen. Wieder Autos. Belichtung anpassen. Autos. Erste Belichtungsversuche. 20 Sekunden. Dann wieder Autos. Bild checken. Und so weiter und so fort… bis ich ein paar verschiedene Motiveinstellungen hatte war dann auch schon wieder fast eine halbe Stunde rum.
Am Eiffelturm selbst positionierte ich mich strategisch günstig an der Kreuzung der Pont d’Iéna. Kurz nach mir kommen noch 2 andere Fotografen. Aber die müssen kurz warten, wenn sie mich nicht mit im Bild haben wollen. Tolles Bild im Kasten und ich drehe mich um 180° in Richtung Trocadero und das Palais de Chaillot. Hier stelle ich mich auch ganz ans Ende der Fußgängerinsel und das Stativ schon auf den Mittelstreifen. Die Lampen leuchten gerade in einem guten Winkel. Also auch hier noch einige Aufnahmen. Die Leute in ihren Autos die wegen der roten Ampel immer mal wieder neben mir halten, freuen sich doch irgendwie alle über das was ich da tue. Jedenfalls sehr unterhaltsame Momente.
Nachdem ich auch die Fotos alle geschossen habe, laufe ich wieder weiter in Richtung Alma Marceau. Nur eben auf der anderen Uferseite. Der Avenue de New York. Hier begegne ich auch Lativ – einem älteren Herrn aus Südafrika – und wir kommen eine ganze Weile ins Gespräch. Er war vor über 30 Jahren das letzte Mal in Paris. Es ist kurz vor 23 Uhr. Ich bereite in der Zwischenzeit meine Kamera für einige weitere Aufnahmen vor. Ein kleines Geburtstags-Dankeschön für Jemanden mit kleinem Gruß. Interessiert schaut er mir zu was ich da für Verrenkungen mache, weil ich das Grußkärtchen doch festhalten muss, da es vom aufkommenden Wind sonst weggeweht worden wäre. Gar nicht so einfach diese (sportliche) Art der Langzeitbelichtung ;-)
Wenig später beginnt der Eiffelturm erneut zu glitzern. Er ist total erstaunt darüber und freut sich sichtlich. Für die Verwandtschaft hält er dieses Spektakel in einem kleinen Video fest. Er erzählt mir dann noch, dass es das damals so wohl noch nicht gegeben hätte. Und hätte er nicht da noch mit mir gewartet, wäre es ihm wohl gar nicht aufgefallen, da er in Richtung Metro weiter wollte. Er ist nur diesen einen Tag in Paris. Quasi auf der Durchreise von einem längeren Flug. Wir unterhalten uns noch ein wenig mehr über Dieses und Jenes und dann verabschieden wir uns voneinander. Heute macht es doch tatsächlich Spaß mit dem Smalltalk auf englisch.
Ich mache noch einen kleinen Abstecher hoch zum Palais de Tokyo. Gucken was da so los sein wird die Tage. Und dann sehe ich am Club YoYo nebenan, wer da am 27.09. auftreten wird. AaRON. Ja da war doch was… genau! Die Band, von der ich die Konzertkarten für Heidelberg gewonnen hatte und deren Auftritt aber 1 Tag vorher abgesagt wurde. Glücklicherweise habe ich hier freies w-lan und ich gucke gleich nach Karten. Zu meiner Enttäuschung stelle ich dann doch fest: Ausverkauft. Was ein Pech aber auch. Das wäre der krönende Abschluss für die Reise gewesen. Aber es sollte einfach nicht sein.
Ein klein wenig enttäuscht nach dieser doch spontanen Entdeckung ging ich zur Metrostation Iéna. Ab zum Hotel. Meine Füße tun sowieso schon weh, von der vielen Lauferei. Im Hotel unterhalte ich mich noch ein wenig mit Muri. Ist eh gerade recht ruhig. Und dann irgendwann ab auf’s Zimmer. War ein langer und aufregender Tag. Ich sichte noch die Fotos vom heutigen Tag. Schreibe ein wenig Tagebuch, lade alle Akkus und dann fallen auch mir irgendwann müde die Augen zu…

Paris – I

Paris. Eine Reise und wie ich mich vielen Herausforderungen stellte.
24.09.2015 – 27.09.2015

Das Kursiv geschriebene sind meine Gedanken. Real und ungefiltert.

Doch von vorn.
Montag der 21.9.2015, Nutella hatte gerade zu seinen Gläsern die Aktion, dass es eine 1-Monatige Bahncard 25 Gratis dazu gab. Ok. Gekauft.
Paris hatte ich im Hinterkopf. 2001 war eh schon viel zu lange her. Also Paris. Ich mache das!
Am Abend dann etwas im Web gesurft, ob das denn passen wird wettertechnisch. Sieht gut aus.
Dienstag 22.09.2015. Auf in die Stadt zum DB-Schalter. 20 Minuten Wartezeit. Keine Sitzgelegenheit. Dann war ich dran. Die Dame war sehr nett, kam ebenfalls gebürtig aus dem Osten, wie sich herausstellte. Diesen Nutella-Gutschein hingegeben. Bahncard-Ausdruck bekommen. Hatte ohne Probleme geklappt. „Wo soll es denn hingehen?“ – „Nach Paris bitte. Übermorgen. Ab hier. Rückfahrt am Sonntag.“ Wildes tippen im Computer. Basel – Paris Verbindungen… 3 Stunden. Dann der Einwurf der Dame: „über Karlsruhe wird es aber um einiges günstiger, weil das dann direkt über DB läuft.“ Hm. 3 Stunden länger. Egal. Ich mag Zug fahren. Ich muss sowieso sparen. „Ok. Machen wir.“ sagte ich. Tickets wurden gebucht und ausgedruckt. Europa-Spezial Frankreich. Hin- und Rückfahrt für 156,-€. Kann man wirklich nicht meckern.
Zufrieden ging ich aus dem DB-Büro. Doch mir war etwas flau im Magen. Scheisse. Und wo schlaf ich eigentlich?
Dienstag Mittag… und Donnerstag früh bei Zeiten sollte es losgehen. Also günstige Hostels recherchiert. AirBnB nachgeguckt. Ist auch noch was frei. Aber hab ich dieses Mal keine Nerven für. Die Liste mit den Hostels nehm ich sicherheitshalber aber mit. Sicher ist sicher. Abenteuer! Oder einfach nur gewagt und dumm? – Nix da, ich schaffe das!
Auf nach Paris ohne gebuchte Unterkunft!
Mittwoch… Geschlafen hatte ich die Nacht nicht so dolle. Ob das wirklich gut geht? Ich lasse es drauf ankommen. Noch etwas Recherche, was günstiger kommen wird… Tageskarten oder das Carnet. Vermutlich das Carnet. Öffnungszeiten googeln. Ich will endlich mal in den Louvre. Wo Tickets kaufen. Gefunden. Stadtplan auf google Maps anschauen. Grober Überblick. Wo will ich hin… Ganz schön viel. Könnte etwas stressig werden. Aber ich lasse mich treiben. Die Stadt wird mir den Weg zeigen. Meinem Gefühl folgen.
Trekkingrucksack packen. Schlafsack. Paar Klamotten. Wörterbuch. Kamera. Alle möglichen Ladekabel. Buch. Taschenlampe. Taschenmesser. Getränk und BifiRoll. Wechselschuhe.
Rucksack testweise aufsetzen. Kippt etwas nach links. Also alles nochmal neu packen. Jetzt ist es besser.
Schlafen. Vor lauter Aufregung sind es nur 3 Stunden geworden.

24.09.2015
Mit der Regionalbahn ging es bei Zeiten nach BaselBad. Warten auf den ICE. Verwirrung auf dem Bahnsteig. Wagenplan studieren. Abfahrtszeiten vergleichen. Der ICE der gleich einrollt ist es nicht. Doof gemacht.
Ich sehe viele verwirrte Gesichter. Jung wie alt. Mann wie Frau. Der ICE fährt ein. Doch das ist nicht meiner. Ist das wirklich nicht meiner? Ruhig bleiben, ich hab 3x auf den Plan geguckt – Wagennummern sind auch nicht identisch. Die Anzeigetafel scheint sich nicht entscheiden zu können, welchen ICE sie anzeigen soll. 100%-ig sicher bin ich mir auch nicht, dass das wirklich der falsche ICE ist. Restrisiko 5%.
Ein junger Mann will gerade hastig einsteigen, dreht sich zu mir um und fragt „Karlsruhe?“ Ich schüttele den Kopf. In diesem Moment springt die Anzeige wieder um. Jetzt ist mein ICE ausgewiesen. Abfahrt in 1 Minute. Es kommen Menschen angerannt und hechten in den Zug. Die Türen schließen sich. Eine Frau will wieder aussteigen. Doch da rollt er schon los.
Der Bahnsteig ist fast komplett leer. Der junge Mann lächelt mir noch einmal erleichtert zu, dass er nicht zu denen gehört, die falsch eingestiegen sind. Ich lächele zurück.
Das war dann wohl meine gute Tat für heute.
Warten. Und warten. Minuten werden zu einer gefühlten Ewigkeit.
Das ist doch jetzt nicht wahr. Verspätung. Ich hab doch nur 15 Minuten Umsteigezeit zum TGV in Karlsruhe. Fuck. Auf den Füßen vor und zurück wippen. Eine Durchsage. Triebwagenprobleme. Verzögerung ca. 20 Minuten. Wie soll ich das denn schaffen? Ich bin den Tränen nahe. Soll es das jetzt gewesen sein? Ich bin doch noch gar nicht weit gekommen. Paris in weiter Ferne. 15 Minuten nach Planmäßiger Abfahrtszeit rollt der ICE ein. Geänderte Wagenreihung. Egal. Er ist da. Ich bin erleichtert und für den ICE bis Karlsruhe hab ich sowieso keine Sitzplatzreservierung. Platz am Fenster bekommen. Die Begrüßung tönt durch die Lautsprecher. Der Lokführer will versuchen etwas Zeit aufzuholen. Ich bin wieder etwas zuversichtlicher. Keine weiteren Besonderheiten auf der Fahrt. Toller Sonnenaufgang. Er hat tatsächlich Zeit gut gemacht. Karlsruhe HBF. Hässlich wie eh und jeh. Dafür nun wieder mit 7 Minuten Umsteigezeit. Easy.
Da steht er ja schon. Der TGV. Meine Sitzplatzreservierung rauskramen. Wagen 18. Der ganz vorn. Das erste mal TGV. Da bin ich also mit meinem sperrigen Rucksack direkt ins Abteil. Mein Platz. Da sitzt bzw. schläft eine junge Frau. Was macht sie da? Hab ich mich im Wagen geirrt? Ich gehe noch einmal zurück, um mich zu vergewissern. Den Stau den ich im Abteil fabriziert hatte, erstmal vorbei lassen. Ich bin richtig. Ich zücke also mein Ticket, nehme allen Mut zusammen und versuche die Frau freundlich aber bestimmt zu wecken. Französisch spricht sie. Mit deuten auf mein Ticket und einem „Voiture 18“ darauf hinweisen, wo wir hier sind. Sie holt ihr Ticket hervor. Aha. Falscher Wagen. Sie muss in die 16. Der TGV rollt los. Ziemlich wackelig und ständig geht diese doofe Tür zu. (Mein Sitzplatz war direkt am Fenster, Abteileingang oben rechts) Hat mich 1x eigeklemmt mit meinem Rucksack. Absetzen und noch irgendwie mit in die überfüllte Gepäckablage vor dem Abteil stopfen. Kann zumindest nicht herunterfallen.
Endlich. Ich sitze. Tiefes durchatmen.
Der Herr neben mir bemerkt meine Erleichterung. Ein kurzes Hallo und guten Morgen. Die erste Zeit schaue ich interessiert aus dem Fenster. Ich bin zufrieden. Ich liebe das, wenn die Welt so vorbei zieht.
Der Herr neben mir kramt sein Frühstück hervor. Man hab ich hunger. War das nervenaufreibend bisher. Mein Essen und Trinken sind im Rucksack. Haha. Nein. Ganz toll gemacht. Aufstehen will ich jetzt aber nicht. Ich will ihn nicht beim frühstücken stören. Mhh… riecht sein Brot lecker. Doch aufstehen? Ich blieb sitzen.
Eine schöne Landschaft da draußen. Gefällt mir. Unterwegs in Richtung Strasbourg.
Nach seinem Frühstück holt er seinen Laptop aus seiner Tasche und schaltet ihn ein. Ok. Sehr gut. Hab ich Glück, wenn er arbeiten will. Ich schaue weiter aus dem Fenster. Höre tippen von nebenan.
Dann spricht er mich an. „Sind sie beruflich unterwegs?“ Warum tust du das? Du hast deinen Laptop gerade aufgeklappt. Willst du nicht lieber arbeiten? Warum? Warum sprechen mich nur immer alle an?? Ja ich weiß… das sympathische Mädel von nebenan. Oder ist es doch meine autistische Distanziertheit, die wie ein Mysterium – auf vorwiegend Männer, zumeist mindestens 10 Jahre älter – wirkt?
„Nicht direkt. Ich möchte Fotos machen.“ Nein, warum tue ich das? Warum kann ich nicht einfach lügen? Es geht nicht. Jetzt hab ich sein Interesse geweckt. Toll. Smalltalk in 3..2..1…
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste… ich sollte mich bis Paris mit ihm unterhalten. Ein Smalltalk-Profi, wie sich schnell herausstellte. Ich nehme die Herausforderung an, vielleicht kann ich was lernen. Einfach Augen zu und durch.
Ich erfuhr also, was er beruflich machte. Warum er heute nach Paris fährt. Ich erfuhr interessante Sachen, langweiliges oder aber auch wissenswertes. Ich weiß nun, wie man die günstigsten Flüge nach Denver bekommt.
Ein Vorort. Der TGV hält recht abrupt. Ziemliche Bremsung. Mein Abteil, also das Erste… genau auf einer Brücke. Unruhe im Zug. Scheint nicht geplant zu sein. *Pschhhffschhh…* Klingt, als wenn der Zug ausgemacht wurde. Lichter gehen auch aus. Ich gucke nach unten. Geht sehr tief runter. Mein Hirn rattert und spielt alle möglichen nun kommen könnenden Situationen durch. Mein rechter Mittelfinger flattert gegen die Handinnenfläche. Ich ziehe meinen Ärmel vom Pullover etwas mehr hinunter. Ich will nicht, dass der sympathische Herr neben mir das mitbekommt. Dennoch scheint er meinen Stresspegel zu bemerken. Er verwickelt mich wieder in ein Gespräch. Danke. Zusammenreißen und nicht weiter stressen. Anderer Fokus.
*Pfffschhhhtrrrrrr…brummm… krschhhpschhh* Das Licht geht wieder an. Bald schon rollen wir langsam weiter. Bis zur Stadt.
Strasbourg. Sieht toll aus. Wunderschön. Der Dom. Ich staune. Mein Sitznachbar erzählt mir ein wenig über die Stadt.
Hauptbahnhof. Emsiges aus und einsteigen. Ich beobachte eine Frau am Gleis, die noch jemandem hinterher winkt, als wir wieder langsam losrollen. Weiter geht’s.
Jetzt kommen wir auf die Hochgeschwindigkeitstrasse. Sieht ziemlich neu aus. Uuuh… Beschleunigung. Ordentlich. Ein Raunen geht durch’s Abteil. Die Anzeige springt auf die km/h Angaben. 315 km pro Stunde. Ich schaue aus dem Fenster. So schnell. In der Ferne langsam. Spitzenwert waren 322km/h für etwa 2 Minuten.
Schon bald waren die ersten Flugzeuge zu sehen. Wir kamen Paris immer näher. Nun wieder etwas Tippen von links. Kurz durchatmen. Bis ich ihn auf ein tieffliegendes Flugzeug aufmerksam mache. Es sieht so aus, als wenn der Zug immer schön parrallel neben her fährt. 317km/h. Landeanflug auf Charles-de-Gaulle. Der TGV in Richtung Paris Est. Nicht mehr weit. Unruhe im Abteil. Die ersten räumen zusammen. Der Herr und ich bleiben noch gute 5 Minuten entspannt sitzen. Genießen den Ausblick. Nur noch wenige Worte jetzt. Dann machen auch wir uns zurecht und in Richtung unserer Gepäckstücke auf. Im Gang stehen. Ungeduldige Fahrgäste. Ich positioniere mich so, dass ich gut aus einem Fenster sehen kann.
Da ist es. Paris. Ich bin tatsächlich hier.
Der TGV rollt langsam ein. Gleiswechsel. Es schaukelt heftig. Währenddessen haue ich meine rechte Hand an einem Fahrrad an. Das tat weh. Schmerz. Augen schließen. Tief durchatmen. Ich bin hier. Jetzt. Ich akzeptiere die Situation. Gehört mit zu meinem Abenteuer. Der Zug hält. Türen öffnen sich. Wir strömen heraus. Ein Pulk der sich seinen Weg bahnt. Zwischendrin immer wieder glückliches Wiedersehen. Freude anderer Menschen. Noch ein kurzer verabschiedender Blick von dem Mann, der neben mir saß. Unsere Blicke verlieren sich in der Masse. Jeder geht seinen Weg.

weiter mit Teil II

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Aktivismus

Ich wollte es auch noch einmal genauer aufdröseln, was gestern mit Selbstdiagnose und Aktivismus gemeint war, aber Felicea kam mir nun zuvor.
Im folgenden also noch einmal ihre Zusammenfassung auf Twitter:

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Wie ich gestern in meinem Blogpost „Nur ein Stück Papier“ vergessen hatte zu erwähnen, hat Aktivismus oder sich für eine Sache einsetzen nichts mit der eigenen Betroffenheit zu tun. Sondern viel mehr, ob etwas in meinen Augen – nach meinen eigenen ethischen Grundsätzen – falsch läuft. Jeder definiert diese für sich selbst, deswegen ist es natürlich völlig legitim, wenn nicht Jeder für das Gleiche kämpft.
Ich setze mich z.B. auch dafür ein, dass Krankenpfleger oder Kindergärtner eine angemessene Bezahlung und vor allem, bessere Arbeitsbedingungen erhalten.
Der Unterschied ist doch lediglich, dass ich keiner dieser beiden Gruppen zugehörig bin – und nicht so tue als ob. Ich sage offen, dass ich das nicht bin.
Und sind wir mal ehrlich…
Es hat doch (leider) heutzutage einen viel größeren Impact auf Medien/Politik, wenn sich nicht nur ‚Betroffene‘ zu Wort melden, sondern auch noch eine breite Masse anderer Menschen sagt: „Hey, schaut alle hierher, hier läuft etwas falsch. Hört auf diese Gruppe, wir unterstützen deren Vorhaben/Ansichten/Forderungen.“
Und genau deswegen setze ich mich dafür ein. Damit ein Umdenken stattfinden kann in der Gesellschaft – vor allem aber in der Politik. Damit eben mehr auf solche Gruppen (Minderheiten) gehört wird.
Minderheiten brauchen nun einmal die Unterstützung der Masse. Wenn die Masse zu laut ist mit ihren Vorurteilen/Ansichten, dann können Minderheiten gar nicht gehört werden.
Sie gehen sprichwörtlich in der Masse unter.

Ich stehe zur aktuellen Diskussion so:
Selbstdiagnose (subjektiv) = dennoch Verdachtsautist
klinische Diagnose (objektiv) = Autist

Ich ging diesen nervenaufreibenden Diagnoseweg.
Mir war es wichtig, dass eine Person die mich nicht schon jahrelang kennt, eine objektive Meinung abgibt, ob meine subjektive Einschätzung… also der Verdacht, dass ich Autistin sein könnte – tatsächlich stimmte.

Ich für meinen Teil kann leider nicht nachvollziehen, wie man aus einer Selbstdiagnose eine Klinische macht, obwohl das real gar nicht der Fall ist.
Also öffentlich behauptet man wäre Autist, obwohl man nur seine subjektive Einschätzung hat. Es ist nicht rational.
Ich sage damit nicht, dass die Selbsteinschätzung zwingend falsch sein muss. Bevor mich hier jemand falsch versteht. Doch eine externe professionelle Meinung – nicht nur zwischen Tür und Angel – halte ich für notwendig, wenn man sich als Autist bezeichnet.
Aktivismus im öffentlichen Raum, da gehört das Internet für mich nun mal dazu, in dem es um konkrete Veränderungen im Leben von Autisten geht, da sollte die Basis eben Ehrlichkeit sein.

Zu sagen, man ist offiziell diagnostiziert… Ja oder Nein. Man hat den Verdacht und wartet auf einen Termin oder man ist eben kein ‚Betroffener‘ und repräsentiert eine ganz andere Gruppe von Menschen, die für Verbesserungen im Leben von Autisten eintreten.

Ich denke das Problem liegt darin, dass die ohne klinische Diagnose glauben, sie dürften nicht mitreden. Das ist doch gar nicht der Fall.
Wie ich schon oben schrieb… Jede Unterstützung ist willkommen.
Das was hingegen wichtig ist, ist die offene und ehrliche Kommunikation.
Teilt euch mit. Sagt was bzw. wer ihr seid.
Autist ja oder nein. Eltern autistischer Kinder, Autistische Eltern(-teile) mit ’normalen‘ Kindern, Ehepartner eines Autisten oder die Musiklehrerin, die sich einfach nur so für das Thema einsetzt ohne direkten Kontakt… oder was auch immer.
Die Kombinationen sind extrem vielfältig.
Durch die Vielfalt gewinnt der Aktivismus an Kraft.
Vielfalt schafft Masse.
Masse hat Kraft etwas zu bewegen.
Nur ehrlich sollte sie sein. Zu sich selbst. Nach außen. Immer.

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Nur ein Stück Papier?

Das Diagnoseschreiben.
In der Autismus-Community spaltet es wie nichts anderes.

Was ich heute ganz stark auf Twitter festgestellt habe ist, dass die Selbstdiagnostizierten leider oftmals dieses fehlende Stück Papier aus verschiedensten Gründen verteidigen. Lebensläufe sind alle unterschiedlich und es mag vielfältige Gründe geben, warum jemand keine professionell erstellte Diagnose erhält.
Ich persönlich verstehe nicht, wie behauptet werden kann, man wäre mit diesem Stück Papier elitär. Irgendwie schwingt da dieser Unterton mit („Du hälst dich für etwas besseres, weil du hast eine und ich nicht.“). Kann sein das ich mich da irre, es ist nur mein Empfinden.
Ich verstehe absolut, wenn manche verzweifeln, weil sie keine Kraft für diesen anstrengenden Weg, des monatelangen Wartens auf den Termin, haben. Das Leben drumherum kann viele Gründe dafür liefern. Deswegen ist dieser Mensch keineswegs schlechter. Doch ich verstehe nicht, wenn aus dieser Verzweiflung heraus nicht offen gesagt/geschrieben wird, dass man eben keine offizielle Diagnose hat.
Jemand der von sich selbst aus sagt, ich habe den Verdacht zum Spektrum zu gehören, ich möchte mich gerne engagieren, aber ich will/kann aus diversen Gründen keine Diagostik machen, den respektiere ich gleichermaßen wie jemanden, der diesen aufwändigen Weg gegangen ist. Aber bitte auch so kommunizieren, welcher Gruppe man angehört. Das beide Gruppen auf der gleichen Seite stehen und für eine bessere Zukunft eintreten, dass sollte das gemeinsame Ziel sein. Zumindest ist das meines.
Was mir persönlich wichtig ist, ist die Tatsache der Offenheit und Ehrlichkeit.
Das wiederrum mündet in Vertrauen.

Was ich leider feststelle ist, dass dieses Vertrauen oftmals fehlt. Nein, eher ziemliches Misstrauen herrscht.
Da folgen dann gerne Sätze wie: „Aber was ist mit den falsch positiv/negativ diagnostizierten?“ oder: „man sei Autist seit der Geburt und nicht erst ab diesem Stück Papier“.
Natürlich.

Das gegenseitige Vertrauen ist das, was meiner Meinung nach die Community stark macht. Da braucht es keine Zweifler in den eigenen Reihen. Entweder ich vertraue auf die Korrektheit der ärztlichen Diagnose oder der Zweifel zerfrisst mich und ich drehe mich im Kreis, anstatt vorwärts zu kommen.
Wenn ich mich für etwas einsetze, dann habe ich den Standpunkt für mich klar definiert. So das ich das mit meinem Gewissen vereinbaren kann und darauf achte, dass durch meine Handlungen keine Nachteile für andere entstehen.

Zwietracht ist doch genau das, was unglaubwürdig macht. Kräfte werden geopfert, die an anderer Stelle viel wichtiger wären. „Wenn Zwei sich streiten, dann freut sich der Dritte.“ (RW)
Das ist das Gleiche wie im Sport. Es gibt zwei Varianten. Den anderen respektieren: die beiden führenden Player pushen sich gegenseitig zu neuen Höchstleistungen oder aber den anderen manipulieren wollen: sie beharken sich gegenseitig, zerren am Trikot, machen Fehler, fallen hin und die anderen (in diesem Falle: Therapien mit schädlichen Langzeitfolgen) kommen gemütlich und ohne großen Aufwand vorbei.
Zu welcher Variante willst du gehören?
Pushen oder hinfallen?
Pushen geht nur, wenn Player 1 offen zeigt was er kann. Player 2 mobilisiert seine Kräfte und will mehr – in dieser Zeit hat Player 1 die Möglichkeit der Regeneration, um erneut seine Leistung verbessern zu können. Und so weiter und so fort…

Ich vertraue darauf, dass jemand der behauptet er sei Autist, dies auch von ärztlicher Seite her hat abklären lassen. Ich will nicht zweifeln. Zweifeln macht kaputt. Wenn die Diagnose kein Facharzt bestätigt hat, auch gut, das respektiere ich. Aber dann sei offen und ehrlich. Deine Unterstützung wird dennoch benötigt.
Nur Ehrlichkeit schafft langanhaltendes Vertrauen.
Gegenseitiges Vertrauen macht gemeinsam stark.
Ich für meinen Teil möchte nicht ständig beweisen müssen, dass ich das Diagnoseschreiben hier abgeheftet in einem Ordner habe, weil man mir nicht glaubt. Ich bin nicht besser als andere, nur weil ich dieses Stück Papier habe. Wäre ich stolz darauf, würde es in einem goldenen Rahmen über meinem Schreibtisch hängen. Doch ich bin nicht stolz darauf. Warum sollte ich? Ich habe nichts geleistet dafür. Es ist keine Medaille.
Im Gegenteil, es ist ein Mahnmal dafür, dass ich härter arbeiten muss als andere Menschen, um Gleiches zu erreichen.

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