Interview

Dem Stadt.Land.Kind-Magazin gab ich vor einiger Zeit ein Interview.

Dieses könnt ihr online nachlesen: Interview
Themen hier u.a. #NoABA, Augenkontakt, UN-Behindertenrechtskonvention, spezielle Einkaufszeiten für Autisten und mehr…

In der Printausgabe (02/2019) erschien ebenfalls ein 2-seitiger Beitrag über mich und mein Leben mit Autismus.

 

vom Loslassen und nach vorn sehen

Mein letztes Jahr und auch noch einige Monate davor waren sehr troubelig, heftig und manchmal auch sehr dunkel. Aber mittlerweile geht es mir im Vergleich dazu deutlich besser. Ich habe mich persönlich ziemlich weiterentwickelt und viele wertvolle Erkenntnisse über mich gewonnen. Über meine Stärken, aber auch über meine Schwächen. Ich habe im vergangenen Jahr viel erreicht und klare Ziele vor Augen. Diese betreffen nicht nur das Jahr 2019, sondern sind auch längerfristig gesetzt.

Aber zunächst zum Blick nach vorn:

Wie ihr sicher schon festgestellt habt, habe ich noch im letzten Jahr die Webseite inhaltlich etwas umstrukturiert. Der Fokus liegt nun deutlicher auf der Fotografie. Aber keine Sorge, Autismus wird hier weiter Thema bleiben. Ich verbinde nun einfach beides miteinander. Das bin schließlich ich. Und ich fühle, dass ich in dieser Kombination besser aufklären und Menschen erreichen kann.
Ich bleibe weiterhin Aktivistin und kämpfe für bessere Bedingungen für Autisten.
Ich bin nach wie vor ganz klar gegen ABA!
Allen voran aber setze ich mich auch für bessere Unterstützung und passende Hilfen für uns Autisten ein. Es kann nicht sein, das wir, die noch in alter Kategorie die Diagnose „Asperger-Syndrom“ erhielten, nicht ernst genommen und unsere Probleme bagatellisiert werden.
Glücklicherweise gibt es nun diese Unterteilung in diese Schubladen ‚leicht‘ und ’schwer‘ betroffen aka Asperger-Syndrom vs. Kanner-Autismus offiziell nicht mehr. Wir alle befinden uns im Autismus-Spektrum. Jeder von uns hat seine Schwierigkeiten, aber auch seine eigenen Stärken und dennoch haben wir so vieles gemeinsam! Es ist unangebracht Autisten so gegeneinander auszuspielen und immer wieder zu behaupten, man könne ja nicht für diese oder jene sprechen.

Was wir können ist klar: Wir können unser Erleben nach Außen tragen. Im Grunde haben wir alle sehr ähnliche Hürden zu meistern und begegnen Vorurteilen. Die einen werden oft unterschätzt, die anderen überschätzt. Beides ist gleich schlimm und schädlich. Fehlende Inklusion. Druck auf Anpassung und Kompensation. Ich habe selbst erlebt, wie zerstörerisch das sein kann.
Die die können, die setzen sich auch für die anderen mit ein. Die die das nicht können, können unterstützen. Jeder auf seine Art.

Das was ich im letzten Jahr leider als sehr negativ erlebt habe: Das Rumnörgeln an denen die etwas tun. An denjenigen, die sich da raus wagen und gegen den Wind stellen. Dem standzuhalten kostet immense Kraft und so manches mal fragt man sich: ‚Warum tue ich mir das eigentlich an?‘ – doch dann kommen immer wieder die kleinen und großen Erfolgsmomente. Das ist was einem immer wieder Kraft gibt. Man tut das nicht (nur) für sich, dafür ist das System vermutlich zu schwerfällig. Aber Aktivisten ebnen den Weg für diejenigen, die nach ihnen kommen.
Was nicht hilfreich ist, ist das Jammern und nichts tun. Wenn ihr nicht damit einverstanden seid, was und wie Aktivisten etwas tun, dann macht es selbst anders. Werdet zu einem Vorbild. Durch ‚Nichts-tun‘ hat sich noch nie etwas nachhaltig verändert. Das betrifft so viele Bereiche des Lebens.
Ich wünsche mir, dass dies endlich in den Köpfen vieler Menschen ankommt.

Im vergangenen Jahr nährte sich ebenfalls die Idee, dass ich gerne eine Ausstellung machen möchte. Das möchte ich dieses Jahr nun konkreter werden lassen. Thema und Art werde ich dann, wenn es soweit ist, natürlich hier auf meiner Webseite bekanntgeben. Ob das letztendlich 2019 noch stattfinden wird, kann und möchte ich nicht versprechen, aber ich werde mich diesem Ziel einer Ausstellung deutlicher annähern.

Ich habe mir vorgenommen nun auch wieder mehr Yoga zu machen und einige Kilos, die depressionsbedingt hinzukamen, wieder abzutrainieren. Ich möchte mehr Ruhe in mir selbst finden. Yoga ist für mich da das beste Hilfsmittel zum abschalten. Ich habe begonnen meinen Lebensstil ernährungstechnisch und auch generell zu verbessern. Ende vergangenen Jahres habe ich auch dafür schon den Grundstein für eine solche Veränderung gelegt. 6kg sind seit Mitte November bereits runter, 17 more to follow. Werde ich schaffen, da glaube ich fest an mich. Auch dieses Ziel habe ich klar vor Augen.

Mein Rückblick auf 2018:

Tjoa… nicht so einfach darüber zu schreiben, aber ich betrachte es als Teil des Loslassens.
Ich fange mit den eher unschönen Dingen an, die mich doch sehr geprägt, aber letztendlich auch persönlich weiter voran gebracht haben. Sie haben mir klar meine eigenen Schwächen aufgezeigt. Und zumindest dafür bin ich dankbar.
Ich bin nicht mehr frustriert oder verärgert über diese Verhaltensweisen mir gegenüber. Es sind Menschen, die wohl einfach nicht anders können.
Aber ich habe mich Ende letzten Jahres dafür entschieden, dass sich diese Lebenswege trennen. Umgangssprachlich würde man wohl sagen: Sie haben es richtig verkackt. Chancen immer wieder weggeworfen und Vertrauen mehrfach missbraucht. Konsequenz: Diese Menschen haben keine Zukunft mehr in meinem Herzen.

Abschließen werde ich den Blogbeitrag hier dann selbstredend mit den positiven Dingen aus dem letzten Jahr.

Das Jahr begann ziemlich dunkel. Der Oktober 2017 war noch nicht lang her. Ich erlebte in jenem Oktober einen ziemlich heftigen Autistischen-Bournout. Jahrelange Kompensation und ‚Maske tragen‘ haben ihren Tribut eingefordert. Nichts ging mehr. Ein Grund warum mir #DieMaskeAbnehmen (Link zu meinem Blogtext) so wichtig ist!

Seither habe ich viel an mir gearbeitet und mir professionelle Hilfe gesucht, für die ich sehr dankbar bin! Ich bin froh, dass mir das alles so gut hilft. Ich habe mich viel besser kennen- und verstehen gelernt in all den Monaten. Es war und ist nicht leicht, in seiner Vergangenheit zu graben, zu akzeptieren was einen bisher (unbewusst) beeinflusst hat – wer man heute ist, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen – und dann harte und sehr verändernde Entscheidungen zu treffen. Auch sich selbst in seinem Verhalten und Denken zu hinterfragen und zu verändern.
So wie mein Leben war konnte es nicht weitergehen. Da sind einige Tränen in Therapiesitzungen geflossen, als so manches unerwartet und plötzlich an die Oberfläche kam. Spannend ist, dass man in solchen Therapiegesprächen mittels professioneller Anleitung sich selbst hilft. Seinen eigenen Weg und Lösungen dafür findet. Bisher gemachte Erfahrungen treten wieder mehr an die Oberfläche, die mit der Zeit in Vergessenheit gerieten oder auch absichtlich verdrängt wurden, weil sie besonders weh taten. Aber auch zwischen den Stunden kamen die Tränen immer mal wieder, immer dann wenn man das Aufgewühlte letztendlich akzeptiert und verarbeitet. Man (verdrängten) Emotionen endlich einen Namen geben kann und Ursachen bzw. Auslöser erkennt. Es zulässt, sich zu öffnen und sich dem inneren Schmerz zu stellen. Es war wichtig und richtig für meine persönliche Weiterentwicklung.

An solch einem Punkt war ich vor etwa 2 Jahren auch schon einmal und ich habe versucht Dinge zu ändern. Manches klappte, anderes nicht so richtig. Ich wusste schlichtweg auch nicht wie und mir fehlten die nötigen ‚Werkzeuge‘. Nun mittels professioneller Hilfe klappt das alles viel gezielter und auch besser.
So habe ich mich nun auch mit Hilfe dieser Unterstützung von toxischen Menschen in meinem Leben getrennt. Allen voran von meinen Erzeugern. Mehr sind sie nicht mehr für mich. Die Entscheidung war lange überfällig, aber auch sehr richtig. Mit nun über 30 Jahren habe ich endlich die Stärke, mich gegen solch destruktiven physischen und psychischen Missbrauch zu wehren! Es war eine der besten Entscheidungen des vergangenen Jahres. Eine gewisse innere Heilung begann sofort. Eine Narzisstin als Mutter zu haben ist ein ziemlicher Albtraum der nie aufhört. Grenzen werden nicht respektiert und permanente Unterordnung wird gefordert, ich musste immer ’spuren‘. Liebe und Mitgefühl, sowie Verständnis fehlanzeige. Meine Bedürfnisse wurden nicht ernst genommen. Gaslighting kommt ebenfalls immer wieder vor. Meine Autismus-Diagnose hatten beide Elternteile bis heute nicht akzeptiert. Für die eigene psychische Gesundheit hilft nur eine klare Trennung. Null Kontakt zu solch manipulativen Menschen.
Es ist ein ziemliches Tabu-Thema in unserer Gesellschaft. Schnell kommt: ‚Aber es sind doch deine Eltern.‘ …das mag auf dem Papier so sein. Man muss aber verstehen, dass ein solcher Kontaktabbruch innerhalb der Familie niemals eine leichte Entscheidung ist und auch nicht aus irgendeiner Laune heraus getroffen wird. Dem geht ein jahrelanger Leidensdruck voraus. Zum Glück habe ich aber auch Verständnis für diese Entscheidung innerhalb der weiteren Verwandtschaft bekommen. Ich habe nun den Kreis der destruktiven Verhaltensweisen in dieser Familie durchbrochen. Ich mache es anders! Ich zeige meiner Tochter das es auch anders geht. Weg von Manipulationen und Gewalt – egal in welcher Form.
Mein Weg ist der der Herzenswärme, des Respekts, der Ehrlichkeit, des Vertrauens und des Mitgefühls.

Das andere war ein Mensch, von dem ich viel zu lange dachte, er wäre mein Freund. Ich leider viel zu lang um diese Freundschaft kämpfte, loyal war, zu gutmütig und immer wieder nachsichtig trotz all der immer wiederkehrenden Respektlosigkeiten mir gegenüber – sicher mitbegründet durch mein Aufwachsen in toxischen Familienverhältnissen, war ich zunächst unfähig mich richtig zu wehren und abzugrenzen. Ich habe zwar immer wieder gemerkt, dass das so nicht richtig sein kann, mir nicht gut tut – aber emotional hatte ich Schwierigkeiten mich klar dagegenzustellen. In dieser ‚Freundschaft‘ nun wurde mir gezielt eingeredet, ich sei ein böser Mensch, wolle denjenigen immer wieder absichtlich verletzen und kränken. Das ich das alleinige Problem und mein Autismus eine Bürde für diesen Menschen sei. – Warum ich damals nach allein dieser Aussage nicht schon schreiend weggelaufen bin, weiß ich nicht so recht. Vermutlich war ich einfach zu gutmütig und hatte die Hoffnung, dass die Person Autismus wohl doch irgendwann mal ein wenig verstehen könne. Aber wahrscheinlich hat es dieser Mensch nicht einmal wirklich versucht, denn letztlich wurde sogar der Autismus gegen mich verwendet und es wurden von mir im guten Glauben und Vertrauen kommunizierte Schwächen, gezielt ausgenutzt. Ziemlich perfide!
Es wurde oft Streit vom Zaun gebrochen (RW), anstatt vernünftig mit mir zu reden. Ich wollte es lange Zeit nicht wahrhaben, dass dieser Mensch wirklich so ist. Etwas, das Autisten vermutlich häufiger passiert. Gehen wir doch oft davon aus, dass unser Gegenüber genauso direkt und ehrlich kommuniziert, wie wir selbst. Zumindest erhofft man sich das von seinen Freunden. Und weil ich froh war über einen weiteren Menschen in meinem Leben, hielt ich weiter an dieser ‚Freundschaft‘ fest und habe Machtspielchen und Beschimpfungen über mich ergehen lassen. Wenn ich etwas kritisch ansprach hieß es dann ‚ich hätte einen Knall‘, ’sei gestört‘, ’solle mich mal untersuchen lassen, was denn mit mir nicht stimme‘ etc. – irgendwann fing ich an das auch zu glauben. Ironischerweise war aber ich diejenige, die schon eine Therapie in Anspruch nahm. Nach einer Weile kam dann auch der Punkt, an dem ich nicht mehr so mit mir umspringen lassen wollte. Sicher auch ein Resultat der bisherigen erfolgreichen Therapie. Ich wurde selbstbewusster!
Dank therapeutischer Hilfe ist mir bewusst geworden, dass das keinesfalls und vermutlich auch zu keinem Zeitpunkt je eine gesunde Freundschaft war. Oberflächlich war dieser Mensch recht charmant, nett, eloquent und mitfühlend – in der Tiefe aber emotionslos, ohne Gewissen und Reue. Letztlich gab es bei genauerem Hinsehen viele ‚Red Flags‘, wenn man diese denn (er-)kennt. Das kann ich nun. Mittlerweile ist sehr klar und deutlich geworden, dass ich da wohl von einem vermutlichen Soziopathen (auch dissoziale Persönlichkeitsstörung genannt) manipuliert und beeinflusst worden bin. Den wenigen guten Momenten habe ich deutlich mehr Gewicht gegeben, als den vielen negativen. Es gab nie wirklich die gleiche Augenhöhe.
Kurz: Ich hatte meinem Bauchgefühl nicht mehr vertraut.

Ich bin heute sehr froh darüber, dass ich mich emotional auch von dieser Person hab lösen und distanzieren können. Ich werde in der Therapie weitere Stärke und Strategien gegen solch destruktive und negative Menschen mit solchen Verhaltensweisen erarbeiten und entwickeln, wurde ich doch schon seit Kindheitstagen immer ‚klein‘ gehalten. Aber das hat nun alles ein Ende. Ich trete mehr für mich und Respekt mir gegenüber ein. Ich werde mein Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein weiter nach oben schrauben.
Ich bin schließlich nicht verantwortlich für deren eigene verdrängte und unaufgearbeitete Vergangenheit, nicht verantwortlich dafür, dass sie dem nicht standhalten können, wenn sie mit sich selbst und dem eigenen Verhalten konfrontiert werden. Ich sprach z.B. nicht nur einmal mir falsch vorkommendes Verhalten an… Dessen Ergebnisse waren dann Verdrängung der Tatsachen und verdrehen der Realität, verbale Angriffe und weitere toxische Verhaltensweisen. Jetzt kann ich mich dagegen wehren. Ich hab mich nicht in die hilflose Opferrolle begeben, sondern dann selbst aktiv etwas geändert. Ich hatte gemerkt, dass ich da ohne entsprechende Hilfe emotional nicht alleine raus komme. Die Therapie hat mir dabei sehr geholfen, zu erkennen das ein solches toxisches Verhalten – egal welchem Menschen gegenüber – niemals gerechtfertigt ist. Ich mir selbst wieder mehr wert sein und gehen muss. Das habe ich getan. Letztlich war es der gleiche Schritt wie bei meinen Erzeugern. Zeitlich fiel diese Abgrenzung auch recht nah zusammen. Es war ein Prozess in mir, den ich durchmachen musste. Was will ich noch in meinem Leben und was will ich nicht mehr?

Solche Personen schaden ihrem Umfeld akut. Man kann nur anraten einen großen Abstand zwischen sich und diese toxischen Menschen zu bringen. Sie werden sich vermutlich nie ändern. Sie wollen schließlich nicht wahrhaben, was falsch läuft. Schuld haben immer nur die anderen. Sie übernehmen keine Verantwortung für ihr Handeln. Ein Perspektivwechsel ist ihnen kaum möglich. Dir werden immer wieder alte Sachen vorgeworfen, von denen sie sich schon früher angeblich absichtlich verletzt gefühlt haben. Verzeihen können solche Menschen nicht. Es werden Versprechungen gemacht, die nicht eingehalten werden. Man fühlt sich immer wieder schlecht im Umgang mit solch einem Menschen, man ist immer auf der Hut. Muss aufpassen, was man sagt. Ich als Autistin war immer wieder gezwungen zu kompensieren. Es ist reine Negativität. Ein Energiefresser. So etwas brauche und will ich nicht mehr in meinem Leben!

Aber auch trotz dieser sehr negativen Erlebnisse glaube ich weiterhin an das Gute in Menschen. Es gibt sie. Das habe ich in besagtem Oktober auch erleben dürfen. Eine Lebenserfahrung die ich nie wieder vergessen werde.

Ich hatte auch das Glück im vergangenen Jahr tolle Menschen (besser) kennengelernt und getroffen zu haben. Ihr alle wisst wer ihr seid!
Auch ein großes Dankeschön für all die tollen Online-Kontakte aus der Autismus-Community. Autisten und auch einige Angehörige. Es ist schön zu spüren nicht allein zu sein und verstanden zu werden, ohne sich groß erklären zu müssen. Das alles macht mir Mut und gibt Kraft. Ich habe auch viele positive Rückmeldungen über mich bekommen. Das Menschen gerne mit mir Zeit verbringen. Gerade unter dem Erlebnis mit der ungesunden ‚Freundschaft‘ tut so etwas der Seele gut.

Im Januar diesen Jahres wollte es das Schicksal so, dass mein Tattoo-Termin für eines am Handgelenk genau auf den 5. Geburtstag meiner Tochter fiel. Geplant war er ursprünglich zwischen den Feiertagen des Vorjahres, aber meine Tätowiererin war krank geworden. Ich fand den neuen gefunden Termin dann sogar sehr passend. Ist es doch ein besonderes Tattoo mit sehr emotionaler und tiefer Bedeutung für mich. Ich habe es auch selbst entworfen. In gewisser Weise war und ist es auch ein Zeichen für all die bereits geschehene und noch weiter kommende Veränderung in mir. Jedes mal, wenn ich dieses Tattoo betrachte, weiß ich, was ich alles im Stande bin zu erreichen. Aus meinem tiefsten Inneren heraus. Es weist mir meinen Weg zu mir selbst. Das hat mir über das Jahr auch sehr geholfen.
Beste und liebenswerteste Tätowiererin: „Just B Tattoos“ Heidelberg (Facebook).

Überhaupt habe ich 2018 meine Comfort-Zone immer wieder verlassen. Zum einen durch die Therapie, aber auch durch meinen eigenen Willen.
Auf dem Literaturcamp in Heidelberg im Sommer z.B. habe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen öffentlichen Vortrag gehalten. Zusammen mit Inga Marie Ramcke (@ingamarieramcke) und Lars Fischer (@fischblog) sprachen wir über „Wissenschaft für Kinder“. Zwar recht spontan, aber letztlich war es eine wundervolle Erfahrung, die ich nicht missen möchte! Ihr beide seid wunderbare Menschen. Auch das gab mir eine ordentliche Ladung mehr Selbstvertrauen. Das Ganze gibt es auch auf Youtube in der Playlist vom Literaturcamp zu sehen.

Mein absolutes musikalisches Highlight war das neue und lang erwartete Album ‚Antidoron‘ von Neuroticfish. Es läuft seit Veröffentlichung im Dezember komplett in Dauerschleife. Eine gelungene Platte, die in ihrer Gänze auf eine Reise durch die Gedanken- und Gefühlswelt mit all ihren Emotionen führt. Etwas was du ganz genau verstehst und nachempfinden kannst, wenn du selbst einmal den Kampf gegen Depressionen angetreten hast.
Bereits im März 2015 habe ich eine Rezension zu einem Neuroticfish Song (Somebody vom Album ‚A Sign of Life‘) geschrieben. Nachlesen könnt ihr diese >hier< auf meiner Webseite.
Durch das aktuelle Album hab ich in den letzten Wochen wieder richtig Muße auf Musik bekommen. Ganz unweigerlich wippt irgendein Körperteil mit. Dieses Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr… Danke!
Meine 3 Favoriten sind: Walk Alone, Hold of me und What is wrong.
Fazit: Hammer Brett das ihr da hingezaubert habt, Jungs! Textlich und musikalisch.
Wer in das Album mal reinhören mag, der kann das hier via Bandcamp: Neuroticfish – Antidoron tun.

Ich hab mich im vergangenen Jahr mit viel Papierkram herumschlagen müssen, obwohl das doch mein persönlicher Endgegner ist. Seit Februar 2018 bin ich auch endlich rechtskräftig geschieden. Ich habe mich allen Herausforderungen des Jahres als Alleinerziehende erfolgreich gestellt. Habe Steine, die mir von Außen und unnötigerweise in den Weg gelegt wurden, nicht nur umlaufen, ich bin auch daran immer mehr gewachsen. Letztendlich bin ich doch sehr stolz auf mich, was ich 2018 alles geleistet habe!

Ebenfalls habe ich mich auch immer wieder getraut, fremde Menschen anzusprechen, wenn der erste Eindruck positiv und offen auf mich wirkte. Sich Blicke kreuzten und ein Lächeln da war. So hab ich im Sommer auch eine mittlerweile gute Freundin in einem IC kennengelernt und hatte nun Silvester mit ihr verbracht. Aber auch auf der Hinfahrt zu ihr habe ich ebenfalls wieder Jemanden in einem EuroCity angesprochen. Es ergab sich spontan so und wir hatten ein schönes Gespräch. Kurz vor dem Ausstieg fragte ich dann einfach nach der Mailadresse. Mal sehen, was daraus vielleicht wird. Eine liebe Antwortmail habe ich jedenfalls gestern erst erhalten. :-)

Ich habe mit der Zeit meinem Umfeld auch immer deutlicher kommuniziert was meine Bedürfnisse und auch Grenzen sind. Ich bin meinem ‚Ich‘ welches durch jahrelange Kompensation und der Maske ’nicht autistisch zu wirken‘ immer mehr verloren ging, nun endlich ein gewaltiges Stück näher gekommen. Ich bin im Vergleich zu vor einem Jahr auch deutlich zufriedener und glücklicher in meinem Leben. An meiner finanziellen Situation hat sich zwar nichts verändert, aber auf Geld kam es mir sowieso noch nie an. Das was mich glücklicher und zufriedener macht, ist vor allem Selbstakzeptanz und das Vertrauen in mich selbst. Ich bin auf dem richtigen Weg.

Den Weg, den ich 2019 weiter gehen werde.

Header-Foto habe ich im Schloss Versailles aufgenommen.

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Wenn du nicht ernst genommen wirst…

Mittlerweile ist dieses Trauma genau 5 Jahre her und ich habe nun den Mut gefunden, auch öffentlich darüber zu sprechen.

Aber vorher noch etwas Allgemeines, bevor ich zu meinen persönlichen Erlebnissen komme…
Ich höre bzw. lese immer wieder, dass Autisten oder Behinderte – mit welcher Einschränkung auch immer – oftmals nicht ernst genommen werden oder dann eher nur mit der Begleitung gesprochen wird, obwohl derjenige ja selbst nebendran steht.
Ich weiß nicht woran es liegt, dass eine offensichtliche Behinderung oder so eine Vorurteils- und Klischeebehaftete wie Autismus, von einigen Menschen so behandelt wird, als wäre man einen ‚happen doof‘ und gerade mal so in der Lage zu existieren. Schlimm und auch gefährlich wird es dann, wenn das Menschen sind, von denen man abhängig ist. Also z.B. Ärzte oder in anderen Behörden und Ämtern, wenn es um die Gewährung irgendwelcher anderer Hilfen geht.
Es ist so schon nicht leicht für Autisten sich Hilfe zu suchen. Gibt es doch von Beginn an viele Hürden. Zunächst einmal die korrekte Selbsteinschätzung, ob denn nun das Problem auch schlimm genug ist, um sich Hilfe zu suchen. Ich selbst neige leider dazu, Schmerzen bei mir viel zu lang auszuhalten, weil es mir schwer fällt abzuschätzen, ob das nun tatsächlich so ernst ist, dass ich ins Krankenhaus müsste.
Warum auch immer fällt mir das bei meiner Tochter deutlich leichter, das dann von außen abzuschätzen. Vielleicht ist es aber auch genau jenes Erlebnis das ich weiter unten dann schreibe, was mich fast übervorsichtig bei ihr macht… aber nochmal kurz zurück zum allgemeinen Teil.
Mal eben so irgendwo anrufen, Termin beim Hausarzt oder woanders zu machen, das funktioniert bei Autisten nicht wirklich gut. Wann immer es geht, laufe ich persönlich hin und hole mir so einen Termin. Hinzu kommen dann oft noch volle Wartezimmer, Geräusche, ungewohnte Umgebung – Reize die Autisten belasten. Unter Schmerzen ist die Kompensationsfähigkeit dann noch zusätzlich herabgesetzt (ich denke das kennt jeder, auch Nicht-Autisten) und um so schneller ist man schon im Overload.
Hat man es dann geschafft und ist im Behandlungs- oder Besprechungszimmer kommt die nächste Hürde. Zu beschreiben was man denn für ein Problem hat.

Hier möchte ich dann nun mit den ganz persönlichen und prägenden Erfahrungen fortfahren…
Ich machte bereits in meiner Kindheit und Jugend die Erfahrung, dass ich mit meinen Sorgen, Beschwerden oder Ängsten fast nie ernst genommen wurde. Vielleicht liegt es daran, dass ich trotz großer Schmerzen noch immer ziemlich sachlich beschreibe was los ist. Für einen Arzt mag das dann eben so wirken, als wäre ja alles gar nicht so schlimm. Neurotypische Menschen schmücken ihre Wehklagen sicher mit deutlich mehr Emotion und Füllworten, die zu verstehen geben, dass es für sie so schlimm ist, dass sie Hilfe benötigen.
Als ich mit 19 Jahren Gallenkoliken hatte, wurde ich auch nicht ernst genommen das es wirklich heftige Schmerzen sind. Ich bekam 1 Stunde lang kein Schmerzmittel, obwohl ich sagte, dass ich Schmerzen habe. Bis ich es überhaupt nicht mehr aushielt und weinte. Dann nach weiterer Wartezeit gab es einen Ultraschall – ja, Gallensteine. Aber gehen sie doch bitte wieder nach Hause, kann ja nicht so schlimm sein. Am Abend darauf erneut heftige Koliken. Ich wurde in ein anderes Krankenhaus gefahren, ich kommunizierte, dass ich erst am Vortag woanders gewesen wäre und man mich wieder heim schickte. Hier im Zweiten nochmal Ultraschall und dann OP nur 2 Stunden später.

2012 bin ich dann schwanger geworden. Die ersten Monate waren, was die Schwangerschaft selbst anging, okay… nur mein erster Frauenarzt war nicht gut. Damals stand der Verdacht auf Autismus bei mir schon ziemlich deutlich begründet im Raum. Ich teilte das dem Arzt mit und erhielt direkt die Aussage, dass das gar nicht sein könne, weil ich ja hier sitzen würde und mit ihm rede. Ohne zu schaukeln und zu sabbern.
Ich ging dort nicht mehr hin. Wie sich im Nachhinein auch herausstellte berechnete er sogar den Geburtstermin falsch. Bald hatte ich einen anderen Frauenarzt gefunden, viel Auswahl gab es in dem Ort damals nicht… dem neuen erzählte ich nichts vom Autismusverdacht. Ich hoffte nicht mehr auf Verständnis zu diesem Thema. Ich machte dann bei ihm alle Vorsorgeuntersuchungen. Ich bekam eine Symphysenlockerung diagnostiziert, die sich von Woche zu Woche verschlimmerte. In der 24. SW war es dann so, als hätte ich bei der kleinsten Bewegung Rasierklingen zwischen den Beinen im Becken. Kein Druckschmerz, sondern unglaublich stechend und schneidend. Aber so wirklich ernst nahm mich der Arzt auch nicht. Ich bekam erst auf mehrmaliges Nachfragen dann solch einen Beckengurt, der die Beschwerden lindern sollte, weil er das Becken wieder zusammenpresst… geholfen hat es mir leider nicht. Selbst sitzen war zur Qual geworden.
Ich konnte mich irgendwann nur noch unter größter Anstrengung bewegen. Die Schmerzen wurden fast unerträglich. Also wieder zum Arzt, es stand sowieso eine Untersuchung an, weil einige Blut- und Urinwerte außerhalb der Norm lagen. Eine Vorderwandplazenta hatte ich ebenfalls. Weil der errechnete Geburtstermin nun nicht mehr all zu weit war, fragte ich, was denn die bessere Option sei wegen der Symphysenlockerung.
Natürliche Geburt war mein Wunsch. Aber ich konnte ja jetzt schon kaum noch irgendwas und die Angst vor einer möglichen Symphysenruptur war ebenfalls da. Eine wirkliche Beratung bekam ich nicht von ihm. Lediglich die Antwort, dass ich das halt selbst entscheiden müsse ob natürliche Geburt oder Kaiserschnitt. Ja, danke für gar nichts. Also wieder heim.
Dann nur wenige Tage später bemerkte ich, dass sich meine Tochter im Bauch deutlich weniger bewegte als sonst. Ich wartete noch einen Tag, es besserte sich nicht, dann doch mit ziemlicher Sorge zum Arzt (38 + 0). Ich sprach an, dass ich Angst vor einer mehrmaligen Nabelschnurumwickelung hätte, aufgrund der deutlich weniger spürbar gewordenen Kindsbewegungen. Herztöne abhören – alles ok. Der Arzt tat mich ab, als wäre ich nur eine der überbesorgten Mütter, und teilte mir mit, dass so eine einmalige NSU ja auch ganz normal wäre und ich mir doch mal nicht so viele Gedanken machen solle.
Ich fühlte mich so unglaublich hilflos und selten so wenig ernst genommen.
Ich sprach daraufhin erneut meine Schmerzen an. Es war ein Freitag. Es wurde ein Kaiserschnitt für den kommenden Dienstag, den 29.01.2013 angesetzt. 2 Wochen vor errechnetem Termin.
Das Wochenende war schlimm für mich… noch immer die Unsicherheit, warum das nun auf einmal so schlagartig weniger war an Bewegung… sie war sonst immer sehr aktiv. Ich blieb dabei… ich spürte und ahnte es. Da ist definitiv was mit der Nabelschnur, nur glaubt es mir niemand, nimmt mich nicht ernst und mal per Ultraschall kontrolliert hat es auch keiner.
Ich hoffte einfach nur darauf, dass ich wenigstens ab und an noch ihre Bewegungen spüre… wir beide bis zum Dienstag durchhalten.
Montag ging es schon kurz ins Krankenhaus zur Blutabnahme und Vorgespräch mit dem Anästhesisten. Ihm erzählte ich, dass damals während der Gallenblasenentfernung das Narkosemittel bei mir nicht so gewirkt hatte wie es sollte. Wohl zu niedrig dosiert, weil mein Körper das anders verarbeitet (auch etwas, was ich immer wieder von anderen Autisten gehört habe, dass Medikamente gar nicht, konträr oder irgendwie anders wirken, als erwartet). Danach ging es wieder heim. Ja, ein schönes Hin- und Her mit all den Schmerzen. Aber ich ertrug das alles tapfer.
Dienstag Morgen ging es bei Zeiten ins Krankenhaus. Ich fühlte mich überfordert von all meinen Gefühlen.
Ich sollte mich dann ins vorbereitete Krankenbett legen, bekam einen Blasenkatheter verpasst und dann ging es auch schon bald ab in Richtung OP-Schleuse. Ich wurde rüber gehieft wie so ein bestelltes Essen im Restaurant, das über den Küchentresen geht. Im Vorraum von einer Schwester große Erklärung dass ich mich dann beim setzen der Spinalanästhesie keinesfalls bewegen dürfe, man mich deswegen zu Zweit in einem nach vorn gebeugten Klammergriff festhalten würde. – Ja… hätte man mir ja auch schon mal einen Tag vorher sagen können… aber was hatte ich jetzt für eine Wahl? Keine.
Ich wollte nur noch, dass es endlich vorbei ist. Das Licht war grell, da wuselten jede Menge Leute rum… Reize, die es mir nicht leichter machten. Es gab eine örtliche Betäubung an der unteren Wirbelsäule, schon die Nadeln merkte ich nicht – dann die große Nadel für die Spinale, die ich übrigens kein bisschen gespürt hatte. Erklärte mir man doch vorher, dass ich die trotz örtlicher Betäubung noch merken würde. Tat ich nicht, war mir recht… das Mittel begann zu wirken und ich wurde in den eigentlichen OP-Saal geschoben. Der Operateur war auch mein Frauenarzt. Im Raum standen etwa 10 Leute… Schwestern und noch so ein paar andere, die einfach nur zuguckten, mit einem unterhielt ich mich noch, es wäre erst seine zweite OP, die er begleiten würde.
Dann ging es los, Tücher wurden mir vor’s Gesicht gehangen (ich fand das furchtbar, ich hätte viel lieber gesehen, wie das Kind rausgeholt wird). Es wurde gefragt, ob ich denn gerade dieses oder jenes spüren würde. Ich verneinte. Dann merkte ich ein dumpfes an mir herumruppen. Ich hatte mich im Vorfeld ein wenig mit dem Kaiserschnitt beschäftigt. Guckte mir auch ein OP-Video an. Mir war dann auf dem OP-Tisch liegend klar, dass ist jetzt der Moment nach der ‚Misgav-Ladach-Methode‘.
Dann hörte ich ein „Ohh…!“
Kurze Stille und Hektik vor mir.
Ich wusste, jetzt ist irgendwas.
Einen kleinen Moment später beglückwünschte man mich zu meiner Tochter. Es war 08:31 Uhr. Mein erster Gedanke: „Warum zeigt man sie mir nicht und warum schreit sie nicht?“ Eine Hebamme verschwand sofort mit ihr in einem Nebenzimmer. Dann endlich das für mich sehr erlösende Babyweinen. Diese 2-3 Minuten in denen ich nicht direkt mein Baby sehen konnte, sie kamen mir so endlos lang vor. Dann brachte man sie mir, eingewickelt in ein Handtuch. Man hielt sie an mich heran… ich konnte ihr Gesicht sehen. Es war ziemlich blau. Ich erschrak und begann zu weinen. Man beruhigte mich dann wieder… Baby und Mann verschwanden hoch auf Station. Ich hatte mein Kind nur kurz sehen dürfen.
Ich wurde wieder verschlossen… ein Assistenzarzt begann die blutigen Tücher durchzuzählen und wegzuräumen. Ich sprach ihn an und scherzte, ob er sich auch nicht verzählt habe. Sichtlich erschrocken, dass ich das überhaupt so mitbekam und auch sah, zählte er direkt nochmal durch. Stimmte alles. OP-Besteck sei auch vollständig. Nix vergessen in mir. Dann ging es zum Aufwachraum.

Ein weiterer schlimmer Zeitraum für mich. Hatte man in diesem Krankenhaus noch nichts davon gehört, dass es wichtig ist, dass Mutter und Kind so früh wie möglich beianander sind, um eine Bindung aufzubauen?
Stattdessen lag ich da in einem immerhin etwas abgedunkelten Raum. Mit 2 anderen, die wohl auch aus irgendeiner OP kamen… Ich war so traurig, da allein liegen zu müssen. Die Erinnerung an dieses ‚Ohh‘ und das meine Tochter so blau war. Was war los? Ich lag da komplett verunsichert. Es guckte immer mal eine Schwester nach uns… ich fragte, wann ich endlich zu meiner Tochter könne… ich bekam als Antwort „Wenn ich meine Beine wieder bewegen könne.“
Kein schönes Gefühl… so eine Antwort und du merkst, dass du eben keine Kontrolle über deinen Unterkörper hast.
Ich war nun gedanklich so darauf fokussiert Muskeln anzuspannen, um endlich wieder die Beine bewegen zu können… eine halbe Stunde verging… dann endlich die Füße und langsam auch etwas die Knie anheben. Nun wurde ich endlich nach oben auf Station gebracht. Meine Tochter hatte mittlerweile eine normale Hautfarbe.
Die ersten Stillversuche klappten nicht. Die Stillbeauftragte war auch nicht gerade einfühlsam. So eine vom alten Schlag, dass ich mich doof anstellen würde, ungeduldig war sie… das müsse gehen. Aber es ging nicht wirklich gut. Das Kind saugte so unglücklich an meinen Brustwarzen, dass sie schon bald zu schmerzen begannen. Diese Haltung, jene Haltung, Brust so halten, Kind in diesem Winkel… es klappte einfach nicht. Die Brüste schmerzten, weil ja auch nicht viel Milch abgetrunken wurde… Töchterchen bekam dann nun das Fläschchen und ich versuchte das mit dem Abpumpen. Das ging. Und ich war glücklich, dass sie dann also doch meine Milch bekommen kann.
Der Frauenarzt kam dann auch am Tag darauf zu mir.
Wundkontrolle und dann sagte er es…
„Es ist gut gewesen, dass Sie sich für einen Kaiserschnitt entschieden hatten, es hätte unter einer natürlichen Geburt definitiv Schwierigkeiten gegeben und die Gesundheit des Kindes hätte nicht garantiert werden können.“
Ich sachlich (vermutlich auch geschockt über das was er gerade sagte): „Warum?“
Er: „Es lag eine straffe 3-fache Nabelschnurumwickelung direkt um den Hals vor!“
Ich: „…“
Ich brachte kein Wort mehr heraus. Und dann ging er…
Bämm! Das hat gesessen. Ich war schockiert. Mich überranten meine Gefühle. Ich lag glaube ich eine ganze Weile nur teilnahmslos da… starrte leer vor mich hin. Das Kind in einem Plastik-Bettchen auf Rädern neben mir.
Ich hatte also recht. Meine Wahrnehmung war richtig!
Meine Sorge und Angst begründet!
Man nahm mich einfach nicht ernst!
Ich war wütend. Hilflos. Traurig. Verunsichert.

Ein ‚hätte-wäre-wenn‘ begann in meinem Kopf.
Hätte sie es überhaupt bis zum errechneten Geburtstermin überlebt?
Oder auch nur einen Tag länger?
Wäre Mittwoch schon zu spät gewesen?
Was wäre gewesen, wenn ich mich doch zur natürlichen Geburt entschlossen hätte?
Hätte ich mein Kind ganz verloren?

Ich war traumatisiert.

Die nächsten Tage im Krankenhaus waren auch nicht hilfreich. Diese Stillschwester, die es nicht dabei belassen wollte, dass ich mit dem Abpumpen zufrieden war, nein, ich musste das Kind immer wieder anlegen. Die Folge: wieder wunde Brustwarzen und ein schreiendes Baby, weil es keine Milch bekommt.
Ich war mit allem überfordert. Man unterstützte mich nicht, ich bekam nur zu verstehen, dass ich mich nicht genug anstrengen würde…
So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Gesellschaft und Medien suggerieren einem ja auch nur das perfekte Bild von Schwangerschaft, Geburt, Stillen und all dem anderen tollen Mutter-Kram.
Nach 4 Tagen gab die Stillbeauftragte dann auf und ich wurde in Ruhe gelassen mit erneuten Still-Versuchen. Ich pumpte regelmäßig ab… ziemlicher Aufwand… und fütterte meine Tochter über die Flasche mit der eigenen Milch. Es war okay für mich. Nach einer Woche durfte ich dann heim.
Das zog ich dann 6 Monate lang durch. In der Zeit schlief ich nicht viel. Immer nur Stundenweise. Hatte ich doch diese Doppelbelastung aus Abpumpen und füttern.
Was noch hinzu kam…
Exakt 8 Wochen nach der Geburt bekam ich in einer auf Asperger-Autismus spezialisierten Abteilung einer Uniklinik die Diagnose gestellt. Meine Tochter hatte ich mit dabei.
Bald darauf stürzte ich in eine heftige Depression und auch Zwangsgedanken entwickelten sich. Vermutlich ausgelöst durch die Hormonumstellung nach der Geburt. Auch hier wieder… wirkliche Unterstützung/Hilfestellung bekam ich nicht vom Frauenarzt und um das alles allein in die Wege zu leiten, vergeblich zu telefonieren, nur um auf mehrmonatigen Wartelisten zu landen… nach 2 Versuchen hatte ich keine Kraft mehr dafür.
Ich kämpfte mich allein da durch.
Die Diagnose Autismus… das traumatische Geburtserlebnis… eine sich wirklich unmöglich benehmende Schwiegermutter, die sich zu der Zeit auch noch selbst einlud… ich hatte keine Ruhe auch nur annähernd etwas zu verarbeiten.
Ich wurde depressiv. Aber ich bekam das allein hin… ich überstand die Zeit der Zwangsgedanken (gut für eine schöne Mutter-Kind-Bindung war das damals nicht)… und irgendwann nach einem halben Jahr ging es mir etwas besser. Ich begann mich mit dem Thema Autismus deutlich mehr auseinanderzusetzen.

Nun sind 5 Jahre vergangen. Das Leben verlief bis hierher auch eher in Strudeln. Mal mehr, mal weniger. Doch jetzt habe ich die Kraft gefunden das alles endlich mal mittels professioneller Hilfe aufzuarbeiten.

Ich freue mich das du bei mir bist.
Und morgen dann… Happy Birthday meine Kleine.

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Kapazitätenkiste

„Siehste… es geht doch, wenn man nur will!“
 

Nein – geht eben nicht!
Aufgrund der doch sehr krassen Veränderungen in meinem Leben wurde ich in letzter Zeit wieder häufiger mit diesem widerwärtigen Spruch bombardiert.
Warum ich das so sehe?
Weil damit völlig außer Acht gelassen wird, was man alles auf sich nimmt bzw. nahm, um nicht zu zerbrechen.
Manchmal hat man im Leben keine Wahl. Du wirst vor vollendete Tatsachen gestellt, konntest bestimmte Dinge in deinem Leben nicht beeinflussen, weil sie in den Händen anderer lagen.
Denn es ist keine Wahl die du triffst: machen oder zerbrechen.
Das ist reiner Überlebensinstinkt der in solch krassen Situationen einsetzt. Mechanisches funktionieren. Keine frei gewählte Handlung. Friss oder stirb.
Und jeder da draußen, der nicht mehr „fressen“ kann oder will, der hat seine Gründe. Gründe können vor allem sein: Hoffnungs- und Hilflosigkeit, aufgrund von fehlendem Verständnis und Unterstützung.
Eben dieses fehlende Verständnis und Durchleben einer solchen Situation bringt manche Menschen dazu, dir einen solchen Spruch an den Kopf zu werfen. (RW)
Sie ignorieren die Realität. Meine Realität.

Wie sieht denn meine Realität aus? Wie war es bei mir?
Die eigentliche Veränderung, die mich das alles so gut hat durchstehen lassen, begann schon viel früher.
Bei mir war es um den 30. Geburtstag herum… – eigentlich muss ich sogar noch etwas weiter ausholen…
Aufgrund meiner schwierigen Schwangerschaft, der traumatisierenden Geburt, dem Fehlverhalten der Ärzte im Vorfeld und behandelnden Pflegerinnen auf der Station, setzte dort schon eine tiefe und unbewusste Veränderung in meinem Körper ein.
Tatsache ist, dass ich in diesem Zustand allein gelassen wurde.
Ich habe eine mittelschwere Wochenbettdepression mit starken Zwangsgedanken allein durchlebt und letztenendes überwunden. Damals erhielt ich keinerlei ärztliche Hilfe – von Medikamenten ganz zu schweigen… Im Gegenteil, ich hatte zu dieser Zeit sogar noch mit allerhand Unverschämtheiten mir gegenüber zu kämpfen. Das Narzisstische Monster zeigte sein wahres Gesicht, als ich mein Baby im Arm hielt.
Wenn ich ehrlich bin… Es ist ein Wunder, dass ich heute mit meiner Tochter hier bin. Würde man alle Einzelheiten kennen, man hätte sich damals nicht über einen traurigen Zeitungsartikel gewundert. Aber dazu kam es ja glücklicherweise nie!
Es ist unglaublich, was ich und mein Körper mit seinem Überlebensinstinkt da geleistet haben.
Überlebensinstinkt mit Neugeborenem vs. Hormonchaos, Trauma, Schmerzen, fehlende Unterstützung/Verständnis.
Ziemlich krasses Ungleichgewicht.
Und genau dort mittendrin… exakt 8 Wochen nach der Geburt hatte ich meinen Termin in der Psychiatrie bzw. Autismus-Ambulanz der Uni-Klinik.
(Also es braucht mir wahrlich niemand damit kommen, wie „einfach“ ich es doch gehabt hätte!)
Jedenfalls… die Diagnose bzw. die Diagnosen (ich bekam nicht nur Autismus diagnostiziert), das veränderte nochmal so einiges – machte die kommenden Monate gleichzeitig um einiges schwieriger, als sie sowieso schon gewesen wären.
So vieles was ich allein verstehen, lernen und bewältigen musste.
Das war der Zeitpunkt, an dem ich diesen mechanischen Überlebensinstinkt das erste Mal bewusst wahr nahm. In diesen 3 Jahren seither habe ich verstanden wann er bei mir einsetzt, wie er funktioniert und was er mit mir macht. Denn als er vergangenen November wieder einsetzte war ich vorbereitet. Vorbereitet auf das scheinbar Unmögliche. Die freigesetzten Kräfte und Kapazitäten.
Da bin ich auch schon beim eigentlichen Knackpunkt… den Kapazitäten.

Gewisse Dinge nur zu wollen, reicht nicht. Dieses „Wollen“ braucht Vorbereitung, Übung und vor allem Zeit.
Zurück zu meinem 30. Geburtstag… nichts besonderes… lediglich eine Runde Zahl. Ich begann mein Leben zu hinterfragen. Was will ich eigentlich? Bin ich glücklich? Bin ich zufrieden? Soll es so weitergehen?
Ich kam zu dem Schluss, dass Veränderung her muss. Die sollte allerdings Zeit brauchen. So wie es Zeit brauchte, all das Vergangene zu verarbeiten und daraus zu lernen. Veränderung geht nur durch Verstehen.
Mir wurde bewusst, dass meine Resilienz sehr stark ist, obwohl meine Umweltfaktoren bis dahin eher das Gegenteil vermuten ließen.

Im übrigen ist es mein Bestreben, dass es irgendwann einmal erforscht wird, wie es sich mit der Resilienz speziell bei Autisten verhält. Bisher ist mir dazu nichts bekannt.

Ich begann mich also zunehmend gegen Fehlverhalten zu wehren. Überlegte mir immer und immer wieder neue Strategien. Probierte aus und veränderte allmählich meine Gewohnheiten und mein Verhalten. Ich gestand mir ein, mich in gewissen Dingen bisher falsch verhalten zu haben. Das ist nicht leicht. Aber ich hatte verstanden, dass ich mir im Endeffekt nur selbst schadete.
Klitzekleine Schritte, aber dafür stetig.
Wie ich schon erwähnte… das ich mich veränderte passte nicht jedem, aber wichtig ist, dass ich schaue, dass es mir gut geht. Ich bin schließlich nicht für Entscheidungen und (Fehl-)Verhalten von anderen verantwortlich und vor allem – ich lasse mich dafür nicht mehr verantwortlich machen!
Ich bin stark – das hat mir mein Lebenslauf gezeigt.

Ich versuche es einfach bildlich zu erklären… Es ist ähnlich der „Löffeltheorie“.
Ich nenne es meine „Kapazitätenkiste“.
Jeder hat eine Kapazitätenkiste (nachfolgend nur noch „KK“) mit seiner Geburt erhalten und schleppt sie seither mit sich herum. Bei dem Einen ist sie recht groß, bei dem Anderen klein. Im Laufe der Jahre kommen dann gewisse Gegenstände hinein. Jeder Gegenstand steht für eine Fähigkeit, die er kann oder erlernt hat. Die Kiste wird immer voller – es wird übereinander gestapelt was geht… Und manches geht dabei eben auch kaputt durch den Druck von oben, man stolpert oder durch Unfälle.
Durch eine Behinderung kommt man an einige Teile in seiner Kiste nicht so ohne weiteres heran oder aber hatte vielleicht nie die Möglichkeit Dieses oder Jenes hinein zu tun.

In dieser Zeit begann ich also in meiner KK herumzuwühlen. Ich fand so einige Gegenstände z.B. ein sehr verstaubter goldfarbener Handspiegel, ein mp3-Player mit leerer Batterie, zerbrochenes Geschirr, alte Fotos und ein Notizbuch mit einer getrockneten Blüte zwischen den Seiten.
Nun… was passiert, wenn man in so einer alten Kiste (in meinem Falle mittlerweile 31 Jahre alt) herumwühlt? Genau… Zwangsläufig wird Staub aufgewirbelt, man entdeckt längst vergessene und verloren geglaubte Dinge.
Man beginnt die oberen Gegenstände zu ordnen und kurz bei Seite zu stellen, um Platz zu schaffen. Weiter nach unten vorzudringen. Das zerbrochene Geschirr (ungesunde Ernährung) habe ich weitestgehend entsorgt. Der schwere, aber verstaubte Handspiegel (mein Selbstwert)… ich habe ihn gereinigt. Er ist wieder schön anzusehen. Die alten Fotos (Erinnerungen)… Sie haben mir gezeigt, wer ich einmal war. Sie erinnerten mich aber auch an viele schlechte Momente. Ich habe sie losgelassen. Behalten habe ich nur die, die mich spontan lächeln ließen. Der mp3-Player… ich habe eine neue Batterie eingesetzt und nun kann ich Musik wieder genießen und mich frei hineinfühlen. Das Notizbuch… ich schreibe meine Geschichte wieder selbst. Die Blüte zeigt mir, auch an den kleinen Dingen nicht achtlos vorrüber zu gehen.

Wenn nun also Lebenskrisen geschehen, dann kann es passieren, dass du deine Kiste vor Schreck fallen lässt, alles durcheinander wirbelt, zu Boden fällt und du nur noch mit chaotischem Einräumen (hineinwerfen) beschäftigt bist, weil die Gesellschaft nicht akzeptiert, dass da etwas herumliegt. Manchmal kommt dir jemand zu Hilfe beim einräumen, aber manchmal eben auch nicht. Alle laufen an dir vorbei, rempeln dich an oder trampeln gar auf deinen (kaputten) Gegenständen herum.
Friss oder stirb.
Einiges kannst du reparieren, doch die Spuren solcher Zwischenfälle bleiben sichtbar. Für dich und diejenigen, die genauer hinsehen wollen. Für den Rest ist oberflächlich gesehen alles in Ordnung.

Ich hatte den Vorteil durch meine bereits vorherige intensive Beschäftigung mit meiner KK, dass sie nicht mehr so voll war. Ich die Möglichkeit hatte, Dinge so abzulegen, dass sie nicht (weiter) kaputt gehen können. Und ich achtete mehr auf meine KK. Ich erahnte den Rempler von hinten und er traf mich nicht mehr mit voller Wucht. Ich hielt die Kiste ganz fest. Was passierte war lediglich, dass sich durch den Rempler (Ehe kaputt, Lügen die ich herausfand) noch mehr Staub lockerte und nach unten heraus rieselte. Ich entdeckte, dass ich mehr Platz in meiner KK habe, als ich noch vor kurzem annahm. Deswegen hatte ich die Möglichkeit Weiteres zu verändern. (Aufhören mit Rauchen, mit Yoga beginnen.)

Es hatte also nichts mit „Wollen“ zu tun, dass ich diese Krise und ihre Widrigkeiten so gut gemeistert habe. Es hatte etwas mit meiner Erfahrung, Resilienz und Vorbereitung zu tun, die schon vor langer Zeit ihren Anfang nahm.

Nur weil ich gerne 3m weit springen will, heißt das noch lange nicht, dass ich das auch kann.
Viel wahrscheinlicher ist doch, dass ich als Ungeübte bei nur 1,55m ungeschickt lande und mir den Knöchel verknackse.
Wichtig ist so vieles. Das was der Zuschauer gern vergisst. Die korrekte Körperspannung, der Anlauf, der Absprung, die Kraft-Schwung Umwandlung während der Flugphase, die sichere Landung.
Das alles erfordert Übung. Dauerhaft.
Sie funktionieren nicht, nur weil ich das so will – oder andere sagen: „Du musst nur wollen und dich mal richtig anstrengen.“ Das sind dann die Menschen, die lachend neben dir stehen, wenn du am Boden liegst. Dir nicht einmal auf helfen oder dich stützen, wenn du wegen dem verknacksten Knöchel humpelst!

„Siehste…, wenn du nur willst, dann geht es auf einmal doch.“
Das ist alles andere als Hilfe.
Das ist Ignoranz.

Nur weil es für Zuschauer so „einfach“ aussieht so etwas zu bewältigen, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht hart dafür gearbeitet habe, mit all den dazugehörigen Konsequenzen!

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Autismus und die Sache mit dem ’nicht können‘

Doch ich kann! Sehr gut sogar! Jeder von uns – wenn er gelassen wird!

Immer wieder lese oder höre ich in den Medien von Eltern mit autistischen Kindern: „Mein Kind wird nie…“ – hier dann beliebig einsetzen:
– jemanden lieben können
– allein wohnen
– heiraten
– Kinder bekommen
– etc.

Warum nicht? Warum sollte das nicht funktionieren?
Weil derzeit im Kindesalter ein Autist vielleicht nicht wahnsinnig große Fortschritte macht?
Weil das Kind in eine Rolle gezwängt wird, in der es nicht es selbst sein kann?
Warum wird autistischen Menschen immer wieder das Recht abgesprochen, so zu leben, wie sie es später einmal möchten?
Solche Aussagen ersticken die Hoffnung des Kindes, auf eine schöne Zukunft, bereits im Keim.
Woher wollen Eltern wissen, was die Zeit bringt? Fortschritte kann jedes Kind machen, wenn es denn auch gelassen wird.
Selbstfindung ist hier meiner Meinung nach das Stichwort.
Wenn jeder so sein darf, wie er wirklich ist, ohne von Kindheitstagen an schon in ein viel zu eng geschnürtes Korsett gesteckt zu werden (RW), dann bin ich der Auffassung, dass autistische Kinder (natürlich auch Erwachsene) viel mehr erreichen können, als ihnen von Außenstehenden (Eltern, Betreuer, Medien) oftmals zugetraut wird.

Der Satz „Mein Kind wird nie…“ wird nur allzu gern dann gebraucht, um einen ganzen Marathon an Therapien zu rechtfertigen. – Warum?
Um so unauffällig angepasst wie möglich durch’s Leben zu kommen?
Was dabei oft vergessen wird ist das Selbstwertgefühl des Autisten.
Sicher – es ist sinnvoll einem autistischen Kind Hilfen anzubieten um eigene (!) Lösungen für gewisse Alltagsprobleme zu finden. Doch der falsche Weg ist es, diese Kinder in gesellschaftliche Normen zu pressen, nur weil ‚man das eben so macht‘.
Viel stärkender ist es doch, wenn das Kind merkt, dass es eigene Strategien für solche ‚Normen‘ entwickeln und anwenden kann.

Beispiel Blickkontakt:
Als kleines Kind konnte ich das nicht. Doch im Alter von vielleicht 10 Jahren brachte ich mir das selbst bei.
Warum?
Der Grund könnte banaler nicht sein.
In der Schule gab es unter den Klassenkameraden ein Spiel, dass hieß: ‚Sieh mir in die Augen‘ – und wer als erstes weg sah oder lachte, der hatte verloren.
Natürlich verlor ich immer.
Irgendwann überlegte ich mir eine Strategie und siehe da… danach verlor ich nur noch selten. Die anderen Kinder fragten mich sogar, wie ich das auf einmal machte.
Es kostete mich zunächst viel Überwindung/Anstrengung den Blickkontakt aufrecht zu erhalten, doch immer mehr gelang es mir, „hinzusehen ohne hinzusehen“.
Ich stellte mich kurz vor dem Spiel darauf ein, in die Augen zu sehen… blickte dann in mein Gegenüber und ‚verlor‘ mich in den Augen der anderen Person. Ich wanderte förmlich wie in einem Tunnel in ihnen umher. Ich machte sie zu einer Art Objekt.
Seither habe ich mit Blickkontakt wenig Probleme – auch wenn ich nun doch hin- und wieder mal für mein Gegenüber zum starren neige, wenn ich zu weit ‚wandere‘ ;-)

Ist es denn nicht viel sinnvoller, sich seine eigenen Strategien zu erfinden, als in endlosen Therapiesitzungen darauf konditioniert zu werden, dieses oder jenes zu tun, ohne den Grund dahinter so richtig zu verstehen?
Überzeugender und erfolgreicher ist es auf die andere Art und Weise. Hilfestellung ja gerne – aber kein Zwang.

Ohne von meinem Autismus zu wissen schaffte ich das Abitur, wohnte allein, begann eine Ausbildung, modelte, jobbte als Fotografin, bin verheiratet und habe eine kleine Tochter.
Sicherlich, all das war und ist nicht immer einfach, es gibt Höhen und Tiefen, doch im Allgemeinen meisterte ich alles ohne Hilfe von Außen. Rückschläge blieben nicht aus, doch die haben nicht nur Autisten und gehören nun einmal zum Leben dazu.


edit: Ich werde hier noch etwas spezifischer, da es evtl. sonst zu Mißverständnissen kommt.
Ich schaffte vielleicht einiges in meinem Leben allein, weil ich meine ganzen Probleme, die ich mit meiner Umwelt habe, für ganz normal hielt. Das es jedem so gehen würde. – Ich wusste es ja nicht besser, also kämpfte ich mich da durch.
Ich bin ehrlich… ich weiß nicht, ob ich das alles so auf diese Art durchgezogen hätte, wenn ich eher von meinem Autismus gewusst hätte (z.B. Kind bekommen). Denn auch ich hatte zunächst als ‚unwissender Neuling‘ nur ein vages Bild von Autismus, dass auch bei mir mit so einigen Vorurteilen behaftet war und die erst mit der Zeit abgebaut wurden, dadurch das ich mich selbst und auch andere Autisten (durch deren Blogs) immer mehr verstand.
Warum und wieso ich gewisse Dinge nicht so gut kann wie andere. Meine Licht- und Geräuschempfindlichkeit.
Vielleicht war es trotz der vielen schmerzlichen (Mobbing-)Erfahrungen auch gut so, dass ich meine Diagnose so spät erhielt. Heute bin ich dankbar dafür, eine 2 Jahre alte Tochter zu haben. Ja, es ist anstrengend – aber jeder Moment in dem wir gemeinsam lachen oder uns einfach nur für einen kleinen Augenblick ansehen und ohne Worte verstehen macht mich glücklich und ist alle Mühen wert.
Gerade weil mir niemand vorher sagte: „Also als Autist Mutter werden… geht das denn? Willst du dir das antun? Das ist doch für ’normale‘ Menschen schon anstrengend…“ etc.)
Heute weiß ich, dass ich es kann. Autismus hin oder her. Es ist machbar.

Wenn einem kleinen Kind nun also von Außen immer wieder gesagt wird, du darfst nicht so sein wie du bist – wir müssen dich ändern, sonst wirst du in deinem Leben nichts erreichen. Was macht das mit einem Menschen?
Genau. Man ist sein Leben lang abhängig von anderen, denn man selbst kann und ist ein Nichts und Niemand. Ohne Stärken – nur Schwächen, die einem immer wieder vorgehalten werden.
Selbstwertgefühl und Selbstbestimmung haben keine Chance sich zu entwickeln.

„Ist eine Rose denn keine Rose, nur weil sie nicht blüht?“

Vielleicht braucht sie nur etwas länger, etwas mehr Wasser, gute Zuwendung und ein wenig frischen Wind.