Interview

Dem Stadt.Land.Kind-Magazin gab ich vor einiger Zeit ein Interview.

Dieses könnt ihr online nachlesen: Interview
Themen hier u.a. #NoABA, Augenkontakt, UN-Behindertenrechtskonvention, spezielle Einkaufszeiten für Autisten und mehr…

In der Printausgabe (02/2019) erschien ebenfalls ein 2-seitiger Beitrag über mich und mein Leben mit Autismus.

 

vom Loslassen und nach vorn sehen

Mein letztes Jahr und auch noch einige Monate davor waren sehr troubelig, heftig und manchmal auch sehr dunkel. Aber mittlerweile geht es mir im Vergleich dazu deutlich besser. Ich habe mich persönlich ziemlich weiterentwickelt und viele wertvolle Erkenntnisse über mich gewonnen. Über meine Stärken, aber auch über meine Schwächen. Ich habe im vergangenen Jahr viel erreicht und klare Ziele vor Augen. Diese betreffen nicht nur das Jahr 2019, sondern sind auch längerfristig gesetzt.

Aber zunächst zum Blick nach vorn:

Wie ihr sicher schon festgestellt habt, habe ich noch im letzten Jahr die Webseite inhaltlich etwas umstrukturiert. Der Fokus liegt nun deutlicher auf der Fotografie. Aber keine Sorge, Autismus wird hier weiter Thema bleiben. Ich verbinde nun einfach beides miteinander. Das bin schließlich ich. Und ich fühle, dass ich in dieser Kombination besser aufklären und Menschen erreichen kann.
Ich bleibe weiterhin Aktivistin und kämpfe für bessere Bedingungen für Autisten.
Ich bin nach wie vor ganz klar gegen ABA!
Allen voran aber setze ich mich auch für bessere Unterstützung und passende Hilfen für uns Autisten ein. Es kann nicht sein, das wir, die noch in alter Kategorie die Diagnose „Asperger-Syndrom“ erhielten, nicht ernst genommen und unsere Probleme bagatellisiert werden.
Glücklicherweise gibt es nun diese Unterteilung in diese Schubladen ‚leicht‘ und ’schwer‘ betroffen aka Asperger-Syndrom vs. Kanner-Autismus offiziell nicht mehr. Wir alle befinden uns im Autismus-Spektrum. Jeder von uns hat seine Schwierigkeiten, aber auch seine eigenen Stärken und dennoch haben wir so vieles gemeinsam! Es ist unangebracht Autisten so gegeneinander auszuspielen und immer wieder zu behaupten, man könne ja nicht für diese oder jene sprechen.

Was wir können ist klar: Wir können unser Erleben nach Außen tragen. Im Grunde haben wir alle sehr ähnliche Hürden zu meistern und begegnen Vorurteilen. Die einen werden oft unterschätzt, die anderen überschätzt. Beides ist gleich schlimm und schädlich. Fehlende Inklusion. Druck auf Anpassung und Kompensation. Ich habe selbst erlebt, wie zerstörerisch das sein kann.
Die die können, die setzen sich auch für die anderen mit ein. Die die das nicht können, können unterstützen. Jeder auf seine Art.

Das was ich im letzten Jahr leider als sehr negativ erlebt habe: Das Rumnörgeln an denen die etwas tun. An denjenigen, die sich da raus wagen und gegen den Wind stellen. Dem standzuhalten kostet immense Kraft und so manches mal fragt man sich: ‚Warum tue ich mir das eigentlich an?‘ – doch dann kommen immer wieder die kleinen und großen Erfolgsmomente. Das ist was einem immer wieder Kraft gibt. Man tut das nicht (nur) für sich, dafür ist das System vermutlich zu schwerfällig. Aber Aktivisten ebnen den Weg für diejenigen, die nach ihnen kommen.
Was nicht hilfreich ist, ist das Jammern und nichts tun. Wenn ihr nicht damit einverstanden seid, was und wie Aktivisten etwas tun, dann macht es selbst anders. Werdet zu einem Vorbild. Durch ‚Nichts-tun‘ hat sich noch nie etwas nachhaltig verändert. Das betrifft so viele Bereiche des Lebens.
Ich wünsche mir, dass dies endlich in den Köpfen vieler Menschen ankommt.

Im vergangenen Jahr nährte sich ebenfalls die Idee, dass ich gerne eine Ausstellung machen möchte. Das möchte ich dieses Jahr nun konkreter werden lassen. Thema und Art werde ich dann, wenn es soweit ist, natürlich hier auf meiner Webseite bekanntgeben. Ob das letztendlich 2019 noch stattfinden wird, kann und möchte ich nicht versprechen, aber ich werde mich diesem Ziel einer Ausstellung deutlicher annähern.

Ich habe mir vorgenommen nun auch wieder mehr Yoga zu machen und einige Kilos, die depressionsbedingt hinzukamen, wieder abzutrainieren. Ich möchte mehr Ruhe in mir selbst finden. Yoga ist für mich da das beste Hilfsmittel zum abschalten. Ich habe begonnen meinen Lebensstil ernährungstechnisch und auch generell zu verbessern. Ende vergangenen Jahres habe ich auch dafür schon den Grundstein für eine solche Veränderung gelegt. 6kg sind seit Mitte November bereits runter, 17 more to follow. Werde ich schaffen, da glaube ich fest an mich. Auch dieses Ziel habe ich klar vor Augen.

Mein Rückblick auf 2018:

Tjoa… nicht so einfach darüber zu schreiben, aber ich betrachte es als Teil des Loslassens.
Ich fange mit den eher unschönen Dingen an, die mich doch sehr geprägt, aber letztendlich auch persönlich weiter voran gebracht haben. Sie haben mir klar meine eigenen Schwächen aufgezeigt. Und zumindest dafür bin ich dankbar.
Ich bin nicht mehr frustriert oder verärgert über diese Verhaltensweisen mir gegenüber. Es sind Menschen, die wohl einfach nicht anders können.
Aber ich habe mich Ende letzten Jahres dafür entschieden, dass sich diese Lebenswege trennen. Umgangssprachlich würde man wohl sagen: Sie haben es richtig verkackt. Chancen immer wieder weggeworfen und Vertrauen mehrfach missbraucht. Konsequenz: Diese Menschen haben keine Zukunft mehr in meinem Herzen.

Abschließen werde ich den Blogbeitrag hier dann selbstredend mit den positiven Dingen aus dem letzten Jahr.

Das Jahr begann ziemlich dunkel. Der Oktober 2017 war noch nicht lang her. Ich erlebte in jenem Oktober einen ziemlich heftigen Autistischen-Bournout. Jahrelange Kompensation und ‚Maske tragen‘ haben ihren Tribut eingefordert. Nichts ging mehr. Ein Grund warum mir #DieMaskeAbnehmen (Link zu meinem Blogtext) so wichtig ist!

Seither habe ich viel an mir gearbeitet und mir professionelle Hilfe gesucht, für die ich sehr dankbar bin! Ich bin froh, dass mir das alles so gut hilft. Ich habe mich viel besser kennen- und verstehen gelernt in all den Monaten. Es war und ist nicht leicht, in seiner Vergangenheit zu graben, zu akzeptieren was einen bisher (unbewusst) beeinflusst hat – wer man heute ist, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen – und dann harte und sehr verändernde Entscheidungen zu treffen. Auch sich selbst in seinem Verhalten und Denken zu hinterfragen und zu verändern.
So wie mein Leben war konnte es nicht weitergehen. Da sind einige Tränen in Therapiesitzungen geflossen, als so manches unerwartet und plötzlich an die Oberfläche kam. Spannend ist, dass man in solchen Therapiegesprächen mittels professioneller Anleitung sich selbst hilft. Seinen eigenen Weg und Lösungen dafür findet. Bisher gemachte Erfahrungen treten wieder mehr an die Oberfläche, die mit der Zeit in Vergessenheit gerieten oder auch absichtlich verdrängt wurden, weil sie besonders weh taten. Aber auch zwischen den Stunden kamen die Tränen immer mal wieder, immer dann wenn man das Aufgewühlte letztendlich akzeptiert und verarbeitet. Man (verdrängten) Emotionen endlich einen Namen geben kann und Ursachen bzw. Auslöser erkennt. Es zulässt, sich zu öffnen und sich dem inneren Schmerz zu stellen. Es war wichtig und richtig für meine persönliche Weiterentwicklung.

An solch einem Punkt war ich vor etwa 2 Jahren auch schon einmal und ich habe versucht Dinge zu ändern. Manches klappte, anderes nicht so richtig. Ich wusste schlichtweg auch nicht wie und mir fehlten die nötigen ‚Werkzeuge‘. Nun mittels professioneller Hilfe klappt das alles viel gezielter und auch besser.
So habe ich mich nun auch mit Hilfe dieser Unterstützung von toxischen Menschen in meinem Leben getrennt. Allen voran von meinen Erzeugern. Mehr sind sie nicht mehr für mich. Die Entscheidung war lange überfällig, aber auch sehr richtig. Mit nun über 30 Jahren habe ich endlich die Stärke, mich gegen solch destruktiven physischen und psychischen Missbrauch zu wehren! Es war eine der besten Entscheidungen des vergangenen Jahres. Eine gewisse innere Heilung begann sofort. Eine Narzisstin als Mutter zu haben ist ein ziemlicher Albtraum der nie aufhört. Grenzen werden nicht respektiert und permanente Unterordnung wird gefordert, ich musste immer ’spuren‘. Liebe und Mitgefühl, sowie Verständnis fehlanzeige. Meine Bedürfnisse wurden nicht ernst genommen. Gaslighting kommt ebenfalls immer wieder vor. Meine Autismus-Diagnose hatten beide Elternteile bis heute nicht akzeptiert. Für die eigene psychische Gesundheit hilft nur eine klare Trennung. Null Kontakt zu solch manipulativen Menschen.
Es ist ein ziemliches Tabu-Thema in unserer Gesellschaft. Schnell kommt: ‚Aber es sind doch deine Eltern.‘ …das mag auf dem Papier so sein. Man muss aber verstehen, dass ein solcher Kontaktabbruch innerhalb der Familie niemals eine leichte Entscheidung ist und auch nicht aus irgendeiner Laune heraus getroffen wird. Dem geht ein jahrelanger Leidensdruck voraus. Zum Glück habe ich aber auch Verständnis für diese Entscheidung innerhalb der weiteren Verwandtschaft bekommen. Ich habe nun den Kreis der destruktiven Verhaltensweisen in dieser Familie durchbrochen. Ich mache es anders! Ich zeige meiner Tochter das es auch anders geht. Weg von Manipulationen und Gewalt – egal in welcher Form.
Mein Weg ist der der Herzenswärme, des Respekts, der Ehrlichkeit, des Vertrauens und des Mitgefühls.

Das andere war ein Mensch, von dem ich viel zu lange dachte, er wäre mein Freund. Ich leider viel zu lang um diese Freundschaft kämpfte, loyal war, zu gutmütig und immer wieder nachsichtig trotz all der immer wiederkehrenden Respektlosigkeiten mir gegenüber – sicher mitbegründet durch mein Aufwachsen in toxischen Familienverhältnissen, war ich zunächst unfähig mich richtig zu wehren und abzugrenzen. Ich habe zwar immer wieder gemerkt, dass das so nicht richtig sein kann, mir nicht gut tut – aber emotional hatte ich Schwierigkeiten mich klar dagegenzustellen. In dieser ‚Freundschaft‘ nun wurde mir gezielt eingeredet, ich sei ein böser Mensch, wolle denjenigen immer wieder absichtlich verletzen und kränken. Das ich das alleinige Problem und mein Autismus eine Bürde für diesen Menschen sei. – Warum ich damals nach allein dieser Aussage nicht schon schreiend weggelaufen bin, weiß ich nicht so recht. Vermutlich war ich einfach zu gutmütig und hatte die Hoffnung, dass die Person Autismus wohl doch irgendwann mal ein wenig verstehen könne. Aber wahrscheinlich hat es dieser Mensch nicht einmal wirklich versucht, denn letztlich wurde sogar der Autismus gegen mich verwendet und es wurden von mir im guten Glauben und Vertrauen kommunizierte Schwächen, gezielt ausgenutzt. Ziemlich perfide!
Es wurde oft Streit vom Zaun gebrochen (RW), anstatt vernünftig mit mir zu reden. Ich wollte es lange Zeit nicht wahrhaben, dass dieser Mensch wirklich so ist. Etwas, das Autisten vermutlich häufiger passiert. Gehen wir doch oft davon aus, dass unser Gegenüber genauso direkt und ehrlich kommuniziert, wie wir selbst. Zumindest erhofft man sich das von seinen Freunden. Und weil ich froh war über einen weiteren Menschen in meinem Leben, hielt ich weiter an dieser ‚Freundschaft‘ fest und habe Machtspielchen und Beschimpfungen über mich ergehen lassen. Wenn ich etwas kritisch ansprach hieß es dann ‚ich hätte einen Knall‘, ’sei gestört‘, ’solle mich mal untersuchen lassen, was denn mit mir nicht stimme‘ etc. – irgendwann fing ich an das auch zu glauben. Ironischerweise war aber ich diejenige, die schon eine Therapie in Anspruch nahm. Nach einer Weile kam dann auch der Punkt, an dem ich nicht mehr so mit mir umspringen lassen wollte. Sicher auch ein Resultat der bisherigen erfolgreichen Therapie. Ich wurde selbstbewusster!
Dank therapeutischer Hilfe ist mir bewusst geworden, dass das keinesfalls und vermutlich auch zu keinem Zeitpunkt je eine gesunde Freundschaft war. Oberflächlich war dieser Mensch recht charmant, nett, eloquent und mitfühlend – in der Tiefe aber emotionslos, ohne Gewissen und Reue. Letztlich gab es bei genauerem Hinsehen viele ‚Red Flags‘, wenn man diese denn (er-)kennt. Das kann ich nun. Mittlerweile ist sehr klar und deutlich geworden, dass ich da wohl von einem vermutlichen Soziopathen (auch dissoziale Persönlichkeitsstörung genannt) manipuliert und beeinflusst worden bin. Den wenigen guten Momenten habe ich deutlich mehr Gewicht gegeben, als den vielen negativen. Es gab nie wirklich die gleiche Augenhöhe.
Kurz: Ich hatte meinem Bauchgefühl nicht mehr vertraut.

Ich bin heute sehr froh darüber, dass ich mich emotional auch von dieser Person hab lösen und distanzieren können. Ich werde in der Therapie weitere Stärke und Strategien gegen solch destruktive und negative Menschen mit solchen Verhaltensweisen erarbeiten und entwickeln, wurde ich doch schon seit Kindheitstagen immer ‚klein‘ gehalten. Aber das hat nun alles ein Ende. Ich trete mehr für mich und Respekt mir gegenüber ein. Ich werde mein Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein weiter nach oben schrauben.
Ich bin schließlich nicht verantwortlich für deren eigene verdrängte und unaufgearbeitete Vergangenheit, nicht verantwortlich dafür, dass sie dem nicht standhalten können, wenn sie mit sich selbst und dem eigenen Verhalten konfrontiert werden. Ich sprach z.B. nicht nur einmal mir falsch vorkommendes Verhalten an… Dessen Ergebnisse waren dann Verdrängung der Tatsachen und verdrehen der Realität, verbale Angriffe und weitere toxische Verhaltensweisen. Jetzt kann ich mich dagegen wehren. Ich hab mich nicht in die hilflose Opferrolle begeben, sondern dann selbst aktiv etwas geändert. Ich hatte gemerkt, dass ich da ohne entsprechende Hilfe emotional nicht alleine raus komme. Die Therapie hat mir dabei sehr geholfen, zu erkennen das ein solches toxisches Verhalten – egal welchem Menschen gegenüber – niemals gerechtfertigt ist. Ich mir selbst wieder mehr wert sein und gehen muss. Das habe ich getan. Letztlich war es der gleiche Schritt wie bei meinen Erzeugern. Zeitlich fiel diese Abgrenzung auch recht nah zusammen. Es war ein Prozess in mir, den ich durchmachen musste. Was will ich noch in meinem Leben und was will ich nicht mehr?

Solche Personen schaden ihrem Umfeld akut. Man kann nur anraten einen großen Abstand zwischen sich und diese toxischen Menschen zu bringen. Sie werden sich vermutlich nie ändern. Sie wollen schließlich nicht wahrhaben, was falsch läuft. Schuld haben immer nur die anderen. Sie übernehmen keine Verantwortung für ihr Handeln. Ein Perspektivwechsel ist ihnen kaum möglich. Dir werden immer wieder alte Sachen vorgeworfen, von denen sie sich schon früher angeblich absichtlich verletzt gefühlt haben. Verzeihen können solche Menschen nicht. Es werden Versprechungen gemacht, die nicht eingehalten werden. Man fühlt sich immer wieder schlecht im Umgang mit solch einem Menschen, man ist immer auf der Hut. Muss aufpassen, was man sagt. Ich als Autistin war immer wieder gezwungen zu kompensieren. Es ist reine Negativität. Ein Energiefresser. So etwas brauche und will ich nicht mehr in meinem Leben!

Aber auch trotz dieser sehr negativen Erlebnisse glaube ich weiterhin an das Gute in Menschen. Es gibt sie. Das habe ich in besagtem Oktober auch erleben dürfen. Eine Lebenserfahrung die ich nie wieder vergessen werde.

Ich hatte auch das Glück im vergangenen Jahr tolle Menschen (besser) kennengelernt und getroffen zu haben. Ihr alle wisst wer ihr seid!
Auch ein großes Dankeschön für all die tollen Online-Kontakte aus der Autismus-Community. Autisten und auch einige Angehörige. Es ist schön zu spüren nicht allein zu sein und verstanden zu werden, ohne sich groß erklären zu müssen. Das alles macht mir Mut und gibt Kraft. Ich habe auch viele positive Rückmeldungen über mich bekommen. Das Menschen gerne mit mir Zeit verbringen. Gerade unter dem Erlebnis mit der ungesunden ‚Freundschaft‘ tut so etwas der Seele gut.

Im Januar diesen Jahres wollte es das Schicksal so, dass mein Tattoo-Termin für eines am Handgelenk genau auf den 5. Geburtstag meiner Tochter fiel. Geplant war er ursprünglich zwischen den Feiertagen des Vorjahres, aber meine Tätowiererin war krank geworden. Ich fand den neuen gefunden Termin dann sogar sehr passend. Ist es doch ein besonderes Tattoo mit sehr emotionaler und tiefer Bedeutung für mich. Ich habe es auch selbst entworfen. In gewisser Weise war und ist es auch ein Zeichen für all die bereits geschehene und noch weiter kommende Veränderung in mir. Jedes mal, wenn ich dieses Tattoo betrachte, weiß ich, was ich alles im Stande bin zu erreichen. Aus meinem tiefsten Inneren heraus. Es weist mir meinen Weg zu mir selbst. Das hat mir über das Jahr auch sehr geholfen.
Beste und liebenswerteste Tätowiererin: „Just B Tattoos“ Heidelberg (Facebook).

Überhaupt habe ich 2018 meine Comfort-Zone immer wieder verlassen. Zum einen durch die Therapie, aber auch durch meinen eigenen Willen.
Auf dem Literaturcamp in Heidelberg im Sommer z.B. habe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen öffentlichen Vortrag gehalten. Zusammen mit Inga Marie Ramcke (@ingamarieramcke) und Lars Fischer (@fischblog) sprachen wir über „Wissenschaft für Kinder“. Zwar recht spontan, aber letztlich war es eine wundervolle Erfahrung, die ich nicht missen möchte! Ihr beide seid wunderbare Menschen. Auch das gab mir eine ordentliche Ladung mehr Selbstvertrauen. Das Ganze gibt es auch auf Youtube in der Playlist vom Literaturcamp zu sehen.

Mein absolutes musikalisches Highlight war das neue und lang erwartete Album ‚Antidoron‘ von Neuroticfish. Es läuft seit Veröffentlichung im Dezember komplett in Dauerschleife. Eine gelungene Platte, die in ihrer Gänze auf eine Reise durch die Gedanken- und Gefühlswelt mit all ihren Emotionen führt. Etwas was du ganz genau verstehst und nachempfinden kannst, wenn du selbst einmal den Kampf gegen Depressionen angetreten hast.
Bereits im März 2015 habe ich eine Rezension zu einem Neuroticfish Song (Somebody vom Album ‚A Sign of Life‘) geschrieben. Nachlesen könnt ihr diese >hier< auf meiner Webseite.
Durch das aktuelle Album hab ich in den letzten Wochen wieder richtig Muße auf Musik bekommen. Ganz unweigerlich wippt irgendein Körperteil mit. Dieses Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr… Danke!
Meine 3 Favoriten sind: Walk Alone, Hold of me und What is wrong.
Fazit: Hammer Brett das ihr da hingezaubert habt, Jungs! Textlich und musikalisch.
Wer in das Album mal reinhören mag, der kann das hier via Bandcamp: Neuroticfish – Antidoron tun.

Ich hab mich im vergangenen Jahr mit viel Papierkram herumschlagen müssen, obwohl das doch mein persönlicher Endgegner ist. Seit Februar 2018 bin ich auch endlich rechtskräftig geschieden. Ich habe mich allen Herausforderungen des Jahres als Alleinerziehende erfolgreich gestellt. Habe Steine, die mir von Außen und unnötigerweise in den Weg gelegt wurden, nicht nur umlaufen, ich bin auch daran immer mehr gewachsen. Letztendlich bin ich doch sehr stolz auf mich, was ich 2018 alles geleistet habe!

Ebenfalls habe ich mich auch immer wieder getraut, fremde Menschen anzusprechen, wenn der erste Eindruck positiv und offen auf mich wirkte. Sich Blicke kreuzten und ein Lächeln da war. So hab ich im Sommer auch eine mittlerweile gute Freundin in einem IC kennengelernt und hatte nun Silvester mit ihr verbracht. Aber auch auf der Hinfahrt zu ihr habe ich ebenfalls wieder Jemanden in einem EuroCity angesprochen. Es ergab sich spontan so und wir hatten ein schönes Gespräch. Kurz vor dem Ausstieg fragte ich dann einfach nach der Mailadresse. Mal sehen, was daraus vielleicht wird. Eine liebe Antwortmail habe ich jedenfalls gestern erst erhalten. :-)

Ich habe mit der Zeit meinem Umfeld auch immer deutlicher kommuniziert was meine Bedürfnisse und auch Grenzen sind. Ich bin meinem ‚Ich‘ welches durch jahrelange Kompensation und der Maske ’nicht autistisch zu wirken‘ immer mehr verloren ging, nun endlich ein gewaltiges Stück näher gekommen. Ich bin im Vergleich zu vor einem Jahr auch deutlich zufriedener und glücklicher in meinem Leben. An meiner finanziellen Situation hat sich zwar nichts verändert, aber auf Geld kam es mir sowieso noch nie an. Das was mich glücklicher und zufriedener macht, ist vor allem Selbstakzeptanz und das Vertrauen in mich selbst. Ich bin auf dem richtigen Weg.

Den Weg, den ich 2019 weiter gehen werde.

Header-Foto habe ich im Schloss Versailles aufgenommen.

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#DieMaskeAbnehmen

Man macht(e) mir oft das vermeintliche Kompliment: „Man merkt dir gar nicht an, dass du Autistin bist.“
Sicher ist es von meinem Gegenüber lieb gemeint, doch negiert es dann im zweiten Gedanken auch schnell die Probleme, die ich tatsächlich durch meine Behinderung habe. Und so ganz freiwillig ist das auch alles nicht mit dem Maskieren. Schließlich sieht niemand durch all das, wie sehr ich so manches mal durch die Umgebung / anderen Menschen an meine Grenzen komme.

Was mir auch gern an den Kopf geworfen wird (RW): „Ich hätte gar keine Ahnung, wie es ‚echten‘ Autisten so gehe.“ Ich hätte also gar kein Recht etwas über diese „schwer Betroffenen“ zu sagen. Und dies nur, weil ich nach außen hin nicht autistisch wirke. Weil… ich sei ja gar nicht so wie ‚die‘.
Fluch und Segen zugleich, eine unsichtbare Behinderung zu haben und diese selbst (zwangsläufig) noch zu verstärken.
Ich komme zwar auf den ersten Blick unauffälliger durch’s Leben, aber wenn ich dann zeige und kommuniziere was mir Probleme bereitet, wird mir nicht geglaubt… ich würde mich nur anstellen oder aber mir würde es um Aufmerksamkeit und eine Sonderbehandlung gehen.
Das muss aufhören. Es verursacht Probleme mit weitreichenden psychischen Folgen.

Maskierst du, bist du kein richtiger Autist. Maskierst du nicht, strengst du dich nur nicht genug an.

Ein fürchterlicher Zwiespalt der zur Folge hat, dass nichts was du tust ‚richtig‘ ist. Viele haben ihr Klischee-Bild von Autismus im Kopf, geprägt durch schlechte Darstellungen in Filmen oder anderen Medien. Diesem Klischee entspreche ich jedenfalls nicht. Bin ich ein IT-Genie? Nein. Bin ich ein total verschrobener Sonderling? Nein. Lebe ich in meiner eigenen Welt? Ganz bestimmt nicht! Sind mir meine Umwelt und meine Mitmenschen egal? Nein, überhaupt nicht. Das letzte was ich bin, ist ein gefühlskalter Roboter.

Doch warum maskieren Autisten?
Das Maskieren ist etwas Erlerntes. Durch viele gemachte Erfahrungen, die nicht wirklich angenehm oder positiv waren. Durch Ausgrenzung, Erziehung und / oder dem Wunsch irgendwo dazu zugehören. Durch das alltägliche Umfeld, durch Blicke und Worte. Durch Unverständnis, Unfairness und Ungleichbehandlung. In Schule, Beruf und auch ganz allgemein.
Man wünschst sich akzeptiert zu werden so wie man ist, doch sieht leider die Realität von Autisten oftmals anders aus.

Man maskiert vielleicht aber auch, weil noch gar keine offizielle Diagnose vorliegt und man selbst noch gar nichts von seinem Autismus weiß und sich so gut es eben geht, durch das Leben wurschtelt ohne groß anzuecken.
Oder aber die Diagnose ist noch frisch und eine erste Phase danach kann sein… ‚Nein, ich bin nicht behindert, ich bin ganz normal‘ oder das (familiäre) Umfeld wünscht das vom Autisten.
Das fängt dann schon im Kleinkindalter an, dass manche Eltern nach einer frischen Diagnose und weil schnelle und gute Hilfen momentan nur schwer zugänglich / kaum vorhanden sind, dann vermeintlich vielversprechenden Therapie-Werbungen glauben schenken, weil sie dem Kind (und sich selbst) ein ’normales Leben‘ wünschen.
Durch ABA (Applied Behavior Analysis) zum Beispiel sollen Kinder durch permanente Reize und Üben dazu gebracht werden, vom Autismus ‚geheilt‘ zu werden.

Doch was tatsächlich der Fall ist? Die Kinder beginnen zu maskieren. Das sieht von außen natürlich wie Fortschritt oder gar Heilung aus.
Warum tun die Kinder das? Um dem permanenten Druck (bis zu 40h pro Woche ABA) zu entgehen. Sie merken das so wie sie sind, eben nicht richtig sind und ihre Eltern sie womöglich nicht so akzeptieren… Kinder lieben ihre Eltern – sie sind abhängig von ihnen. Also wird das Kind sich bemühen den Forderungen nachzukommen, um seine eigene Existenz zu sichern.

Was bleibt? Anpassung so gut man kann. Bis man nicht mehr kann.

Ich selbst kam gegen Ende letzten Jahres an den Punkt, an dem es so nicht weitergehen konnte. Ich bemühte mich jahrelang zu kompensieren und zu maskieren. Niemand sah meine Anstrengungen. Sicher, ich bekam meine Diagnose erst vor fünfeinhalb Jahren mit 28, aber auch vorher schon maskierte ich… ich hatte nur keinen Namen – nämlich Autismus – für die Ursache. Ich merkte schon im Kindesalter selbst, dass ich anders bin.
Ich bekam es ständig zu spüren. Und so funktionierte ich all die Jahre und versuchte so ’normal‘ wie möglich zu sein. Eine immense Aufgabe die unmengen an Energie frisst. Bis dann im vergangenen Jahr die Fassade zu bröckeln begann und ich immer weniger ’normal‘ funktionierte.

Man kann sagen, mein Autismus wurde stärker – das stimmt so natürlich nicht – denn er wurde nur einfach sichtbarer.

Dann eines Tages im vergangenen Jahr ging gar nichts mehr. Ich zog die Notbremse.
Ich lerne nun mehr ich selbst zu sein. Wieder mehr meine eigenen Grenzen wahrzunehmen und nicht permanent darüber zu gehen. All das was jahrelanges Maskieren anrichtet ist nicht hilfreich, wenn es um ein glückliches und zufriedenes Leben geht.
Was bin ich und was ist die Maske? Wer bin ich ohne diese?
Dies sind ebenfalls Veränderungen im Leben von Autisten, die schwierig und emotional schmerzhaft sein können.
Jahrelang sich selbst oder von außen antrainiertes Verhalten nun abzulegen oder zu ändern, das braucht ebenfalls Zeit (und je nach eigenem Bedarf auch eine kognitive Verhaltenstherapie). Doch was ebenfalls wichtig ist, ist das Verständnis und die Akzeptanz der Gesellschaft um uns herum.

Aus diesem Grunde wurde vor kurzem der Hashtag #TakeTheMaskOff ins Leben gerufen.
Das Ziel ist es, Verständnis und Akzeptanz zu fördern.
Englischsprachige Autisten berichten von ganz normalen und alltäglichen Situationen in denen sie maskieren und warum sie das tun. Wir hoffen damit stetig und mehr zur Aufklärung beitragen zu können, sodass Maskieren irgendwann einmal nicht mehr notwendig sein muss.
Das Maskieren ist kein Problem von einigen wenigen, sondern es betrifft die große Mehrheit aller Autisten – egal auf welchem Flecken der Erde sie leben.

Ich habe die am 31.07.2018 erschienene Studie „Risk markers for suicidality in autistic adults“ (Link) zum Anlass genommen, den Hashtag in den deutschsprachigen Raum zu übernehmen. Daraus entstand #DieMaskeAbnehmen

In dieser Studie geht es darum, welchen Einfluss das Maskieren auf das Leben von Autisten hat. Die Ergebnisse sind erschreckend:
„A majority of autistic adults (72%) scored above the recommended psychiatric cut-off for suicide risk on the SBQ-R; significantly higher than general population (GP) adults (33%).“ und „Camouflaging and unmet support needs appear to be risk markers for suicidality unique to ASC.“

Es geht in dieser Kampagne darum, falsche Vorstellungen in den Köpfen unserer Mitmenschen abzubauen. Das unmaskiertes Verhalten keine Boshaftigkeiten sind, sondern einfach nur Reaktionen auf unsere Umwelt und ihre vielen Reize.
Es soll niemand dafür verurteilt werden, weil er eine Maske trägt, sie nicht abnehmen kann oder es auch gar nicht will! Ziel ist die Aufklärung.

Ich selbst habe für mich entschieden, ganz besonders nach meinen Erlebnissen Ende letzten Jahres, dass ich weit weniger maskieren will, als ich es in der Vergangenheit tat. Der Preis ist mir viel zu hoch. Ganz privat klappt es nun immer besser, doch in der Öffentlichkeit noch nicht so. Hierzu fehlt es auch noch an Sensibilität, was Autismus eigentlich ist.
Nicht (mehr) zu maskieren ist nicht einfach. Es macht verletzlich. Angreifbar.

Doch wenn niemand diese kleinen aber stetigen Schritte geht, dann ändert sich auch nichts! Wessen ich mir sicher bin, ist der Rückhalt durch andere Autisten. Jeder von uns kennt diese Situationen. Ein weiterer Grund warum ich nun offen damit umgehe.

Teilt euch mit. Nutzt den Hashtag #DieMaskeAbnehmen oder in Englisch #TakeTheMaskOff.
Selbstverständlich sind auch Nicht-Autisten zur Unterstützung dieser Kampagne eingeladen. Verbreitet das Wort. Klärt auf, was wir Autisten wünschen und brauchen.

Die Folgen dauerhaften und permanenten Maskierens sind inakzeptabel. Versuchen wir gemeinsam durch Aufklärung die Welt leichter und angenehmer für uns zu machen.

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Wenn du nicht ernst genommen wirst…

Mittlerweile ist dieses Trauma genau 5 Jahre her und ich habe nun den Mut gefunden, auch öffentlich darüber zu sprechen.

Aber vorher noch etwas Allgemeines, bevor ich zu meinen persönlichen Erlebnissen komme…
Ich höre bzw. lese immer wieder, dass Autisten oder Behinderte – mit welcher Einschränkung auch immer – oftmals nicht ernst genommen werden oder dann eher nur mit der Begleitung gesprochen wird, obwohl derjenige ja selbst nebendran steht.
Ich weiß nicht woran es liegt, dass eine offensichtliche Behinderung oder so eine Vorurteils- und Klischeebehaftete wie Autismus, von einigen Menschen so behandelt wird, als wäre man einen ‚happen doof‘ und gerade mal so in der Lage zu existieren. Schlimm und auch gefährlich wird es dann, wenn das Menschen sind, von denen man abhängig ist. Also z.B. Ärzte oder in anderen Behörden und Ämtern, wenn es um die Gewährung irgendwelcher anderer Hilfen geht.
Es ist so schon nicht leicht für Autisten sich Hilfe zu suchen. Gibt es doch von Beginn an viele Hürden. Zunächst einmal die korrekte Selbsteinschätzung, ob denn nun das Problem auch schlimm genug ist, um sich Hilfe zu suchen. Ich selbst neige leider dazu, Schmerzen bei mir viel zu lang auszuhalten, weil es mir schwer fällt abzuschätzen, ob das nun tatsächlich so ernst ist, dass ich ins Krankenhaus müsste.
Warum auch immer fällt mir das bei meiner Tochter deutlich leichter, das dann von außen abzuschätzen. Vielleicht ist es aber auch genau jenes Erlebnis das ich weiter unten dann schreibe, was mich fast übervorsichtig bei ihr macht… aber nochmal kurz zurück zum allgemeinen Teil.
Mal eben so irgendwo anrufen, Termin beim Hausarzt oder woanders zu machen, das funktioniert bei Autisten nicht wirklich gut. Wann immer es geht, laufe ich persönlich hin und hole mir so einen Termin. Hinzu kommen dann oft noch volle Wartezimmer, Geräusche, ungewohnte Umgebung – Reize die Autisten belasten. Unter Schmerzen ist die Kompensationsfähigkeit dann noch zusätzlich herabgesetzt (ich denke das kennt jeder, auch Nicht-Autisten) und um so schneller ist man schon im Overload.
Hat man es dann geschafft und ist im Behandlungs- oder Besprechungszimmer kommt die nächste Hürde. Zu beschreiben was man denn für ein Problem hat.

Hier möchte ich dann nun mit den ganz persönlichen und prägenden Erfahrungen fortfahren…
Ich machte bereits in meiner Kindheit und Jugend die Erfahrung, dass ich mit meinen Sorgen, Beschwerden oder Ängsten fast nie ernst genommen wurde. Vielleicht liegt es daran, dass ich trotz großer Schmerzen noch immer ziemlich sachlich beschreibe was los ist. Für einen Arzt mag das dann eben so wirken, als wäre ja alles gar nicht so schlimm. Neurotypische Menschen schmücken ihre Wehklagen sicher mit deutlich mehr Emotion und Füllworten, die zu verstehen geben, dass es für sie so schlimm ist, dass sie Hilfe benötigen.
Als ich mit 19 Jahren Gallenkoliken hatte, wurde ich auch nicht ernst genommen das es wirklich heftige Schmerzen sind. Ich bekam 1 Stunde lang kein Schmerzmittel, obwohl ich sagte, dass ich Schmerzen habe. Bis ich es überhaupt nicht mehr aushielt und weinte. Dann nach weiterer Wartezeit gab es einen Ultraschall – ja, Gallensteine. Aber gehen sie doch bitte wieder nach Hause, kann ja nicht so schlimm sein. Am Abend darauf erneut heftige Koliken. Ich wurde in ein anderes Krankenhaus gefahren, ich kommunizierte, dass ich erst am Vortag woanders gewesen wäre und man mich wieder heim schickte. Hier im Zweiten nochmal Ultraschall und dann OP nur 2 Stunden später.

2012 bin ich dann schwanger geworden. Die ersten Monate waren, was die Schwangerschaft selbst anging, okay… nur mein erster Frauenarzt war nicht gut. Damals stand der Verdacht auf Autismus bei mir schon ziemlich deutlich begründet im Raum. Ich teilte das dem Arzt mit und erhielt direkt die Aussage, dass das gar nicht sein könne, weil ich ja hier sitzen würde und mit ihm rede. Ohne zu schaukeln und zu sabbern.
Ich ging dort nicht mehr hin. Wie sich im Nachhinein auch herausstellte berechnete er sogar den Geburtstermin falsch. Bald hatte ich einen anderen Frauenarzt gefunden, viel Auswahl gab es in dem Ort damals nicht… dem neuen erzählte ich nichts vom Autismusverdacht. Ich hoffte nicht mehr auf Verständnis zu diesem Thema. Ich machte dann bei ihm alle Vorsorgeuntersuchungen. Ich bekam eine Symphysenlockerung diagnostiziert, die sich von Woche zu Woche verschlimmerte. In der 24. SW war es dann so, als hätte ich bei der kleinsten Bewegung Rasierklingen zwischen den Beinen im Becken. Kein Druckschmerz, sondern unglaublich stechend und schneidend. Aber so wirklich ernst nahm mich der Arzt auch nicht. Ich bekam erst auf mehrmaliges Nachfragen dann solch einen Beckengurt, der die Beschwerden lindern sollte, weil er das Becken wieder zusammenpresst… geholfen hat es mir leider nicht. Selbst sitzen war zur Qual geworden.
Ich konnte mich irgendwann nur noch unter größter Anstrengung bewegen. Die Schmerzen wurden fast unerträglich. Also wieder zum Arzt, es stand sowieso eine Untersuchung an, weil einige Blut- und Urinwerte außerhalb der Norm lagen. Eine Vorderwandplazenta hatte ich ebenfalls. Weil der errechnete Geburtstermin nun nicht mehr all zu weit war, fragte ich, was denn die bessere Option sei wegen der Symphysenlockerung.
Natürliche Geburt war mein Wunsch. Aber ich konnte ja jetzt schon kaum noch irgendwas und die Angst vor einer möglichen Symphysenruptur war ebenfalls da. Eine wirkliche Beratung bekam ich nicht von ihm. Lediglich die Antwort, dass ich das halt selbst entscheiden müsse ob natürliche Geburt oder Kaiserschnitt. Ja, danke für gar nichts. Also wieder heim.
Dann nur wenige Tage später bemerkte ich, dass sich meine Tochter im Bauch deutlich weniger bewegte als sonst. Ich wartete noch einen Tag, es besserte sich nicht, dann doch mit ziemlicher Sorge zum Arzt (38 + 0). Ich sprach an, dass ich Angst vor einer mehrmaligen Nabelschnurumwickelung hätte, aufgrund der deutlich weniger spürbar gewordenen Kindsbewegungen. Herztöne abhören – alles ok. Der Arzt tat mich ab, als wäre ich nur eine der überbesorgten Mütter, und teilte mir mit, dass so eine einmalige NSU ja auch ganz normal wäre und ich mir doch mal nicht so viele Gedanken machen solle.
Ich fühlte mich so unglaublich hilflos und selten so wenig ernst genommen.
Ich sprach daraufhin erneut meine Schmerzen an. Es war ein Freitag. Es wurde ein Kaiserschnitt für den kommenden Dienstag, den 29.01.2013 angesetzt. 2 Wochen vor errechnetem Termin.
Das Wochenende war schlimm für mich… noch immer die Unsicherheit, warum das nun auf einmal so schlagartig weniger war an Bewegung… sie war sonst immer sehr aktiv. Ich blieb dabei… ich spürte und ahnte es. Da ist definitiv was mit der Nabelschnur, nur glaubt es mir niemand, nimmt mich nicht ernst und mal per Ultraschall kontrolliert hat es auch keiner.
Ich hoffte einfach nur darauf, dass ich wenigstens ab und an noch ihre Bewegungen spüre… wir beide bis zum Dienstag durchhalten.
Montag ging es schon kurz ins Krankenhaus zur Blutabnahme und Vorgespräch mit dem Anästhesisten. Ihm erzählte ich, dass damals während der Gallenblasenentfernung das Narkosemittel bei mir nicht so gewirkt hatte wie es sollte. Wohl zu niedrig dosiert, weil mein Körper das anders verarbeitet (auch etwas, was ich immer wieder von anderen Autisten gehört habe, dass Medikamente gar nicht, konträr oder irgendwie anders wirken, als erwartet). Danach ging es wieder heim. Ja, ein schönes Hin- und Her mit all den Schmerzen. Aber ich ertrug das alles tapfer.
Dienstag Morgen ging es bei Zeiten ins Krankenhaus. Ich fühlte mich überfordert von all meinen Gefühlen.
Ich sollte mich dann ins vorbereitete Krankenbett legen, bekam einen Blasenkatheter verpasst und dann ging es auch schon bald ab in Richtung OP-Schleuse. Ich wurde rüber gehieft wie so ein bestelltes Essen im Restaurant, das über den Küchentresen geht. Im Vorraum von einer Schwester große Erklärung dass ich mich dann beim setzen der Spinalanästhesie keinesfalls bewegen dürfe, man mich deswegen zu Zweit in einem nach vorn gebeugten Klammergriff festhalten würde. – Ja… hätte man mir ja auch schon mal einen Tag vorher sagen können… aber was hatte ich jetzt für eine Wahl? Keine.
Ich wollte nur noch, dass es endlich vorbei ist. Das Licht war grell, da wuselten jede Menge Leute rum… Reize, die es mir nicht leichter machten. Es gab eine örtliche Betäubung an der unteren Wirbelsäule, schon die Nadeln merkte ich nicht – dann die große Nadel für die Spinale, die ich übrigens kein bisschen gespürt hatte. Erklärte mir man doch vorher, dass ich die trotz örtlicher Betäubung noch merken würde. Tat ich nicht, war mir recht… das Mittel begann zu wirken und ich wurde in den eigentlichen OP-Saal geschoben. Der Operateur war auch mein Frauenarzt. Im Raum standen etwa 10 Leute… Schwestern und noch so ein paar andere, die einfach nur zuguckten, mit einem unterhielt ich mich noch, es wäre erst seine zweite OP, die er begleiten würde.
Dann ging es los, Tücher wurden mir vor’s Gesicht gehangen (ich fand das furchtbar, ich hätte viel lieber gesehen, wie das Kind rausgeholt wird). Es wurde gefragt, ob ich denn gerade dieses oder jenes spüren würde. Ich verneinte. Dann merkte ich ein dumpfes an mir herumruppen. Ich hatte mich im Vorfeld ein wenig mit dem Kaiserschnitt beschäftigt. Guckte mir auch ein OP-Video an. Mir war dann auf dem OP-Tisch liegend klar, dass ist jetzt der Moment nach der ‚Misgav-Ladach-Methode‘.
Dann hörte ich ein „Ohh…!“
Kurze Stille und Hektik vor mir.
Ich wusste, jetzt ist irgendwas.
Einen kleinen Moment später beglückwünschte man mich zu meiner Tochter. Es war 08:31 Uhr. Mein erster Gedanke: „Warum zeigt man sie mir nicht und warum schreit sie nicht?“ Eine Hebamme verschwand sofort mit ihr in einem Nebenzimmer. Dann endlich das für mich sehr erlösende Babyweinen. Diese 2-3 Minuten in denen ich nicht direkt mein Baby sehen konnte, sie kamen mir so endlos lang vor. Dann brachte man sie mir, eingewickelt in ein Handtuch. Man hielt sie an mich heran… ich konnte ihr Gesicht sehen. Es war ziemlich blau. Ich erschrak und begann zu weinen. Man beruhigte mich dann wieder… Baby und Mann verschwanden hoch auf Station. Ich hatte mein Kind nur kurz sehen dürfen.
Ich wurde wieder verschlossen… ein Assistenzarzt begann die blutigen Tücher durchzuzählen und wegzuräumen. Ich sprach ihn an und scherzte, ob er sich auch nicht verzählt habe. Sichtlich erschrocken, dass ich das überhaupt so mitbekam und auch sah, zählte er direkt nochmal durch. Stimmte alles. OP-Besteck sei auch vollständig. Nix vergessen in mir. Dann ging es zum Aufwachraum.

Ein weiterer schlimmer Zeitraum für mich. Hatte man in diesem Krankenhaus noch nichts davon gehört, dass es wichtig ist, dass Mutter und Kind so früh wie möglich beianander sind, um eine Bindung aufzubauen?
Stattdessen lag ich da in einem immerhin etwas abgedunkelten Raum. Mit 2 anderen, die wohl auch aus irgendeiner OP kamen… Ich war so traurig, da allein liegen zu müssen. Die Erinnerung an dieses ‚Ohh‘ und das meine Tochter so blau war. Was war los? Ich lag da komplett verunsichert. Es guckte immer mal eine Schwester nach uns… ich fragte, wann ich endlich zu meiner Tochter könne… ich bekam als Antwort „Wenn ich meine Beine wieder bewegen könne.“
Kein schönes Gefühl… so eine Antwort und du merkst, dass du eben keine Kontrolle über deinen Unterkörper hast.
Ich war nun gedanklich so darauf fokussiert Muskeln anzuspannen, um endlich wieder die Beine bewegen zu können… eine halbe Stunde verging… dann endlich die Füße und langsam auch etwas die Knie anheben. Nun wurde ich endlich nach oben auf Station gebracht. Meine Tochter hatte mittlerweile eine normale Hautfarbe.
Die ersten Stillversuche klappten nicht. Die Stillbeauftragte war auch nicht gerade einfühlsam. So eine vom alten Schlag, dass ich mich doof anstellen würde, ungeduldig war sie… das müsse gehen. Aber es ging nicht wirklich gut. Das Kind saugte so unglücklich an meinen Brustwarzen, dass sie schon bald zu schmerzen begannen. Diese Haltung, jene Haltung, Brust so halten, Kind in diesem Winkel… es klappte einfach nicht. Die Brüste schmerzten, weil ja auch nicht viel Milch abgetrunken wurde… Töchterchen bekam dann nun das Fläschchen und ich versuchte das mit dem Abpumpen. Das ging. Und ich war glücklich, dass sie dann also doch meine Milch bekommen kann.
Der Frauenarzt kam dann auch am Tag darauf zu mir.
Wundkontrolle und dann sagte er es…
„Es ist gut gewesen, dass Sie sich für einen Kaiserschnitt entschieden hatten, es hätte unter einer natürlichen Geburt definitiv Schwierigkeiten gegeben und die Gesundheit des Kindes hätte nicht garantiert werden können.“
Ich sachlich (vermutlich auch geschockt über das was er gerade sagte): „Warum?“
Er: „Es lag eine straffe 3-fache Nabelschnurumwickelung direkt um den Hals vor!“
Ich: „…“
Ich brachte kein Wort mehr heraus. Und dann ging er…
Bämm! Das hat gesessen. Ich war schockiert. Mich überranten meine Gefühle. Ich lag glaube ich eine ganze Weile nur teilnahmslos da… starrte leer vor mich hin. Das Kind in einem Plastik-Bettchen auf Rädern neben mir.
Ich hatte also recht. Meine Wahrnehmung war richtig!
Meine Sorge und Angst begründet!
Man nahm mich einfach nicht ernst!
Ich war wütend. Hilflos. Traurig. Verunsichert.

Ein ‚hätte-wäre-wenn‘ begann in meinem Kopf.
Hätte sie es überhaupt bis zum errechneten Geburtstermin überlebt?
Oder auch nur einen Tag länger?
Wäre Mittwoch schon zu spät gewesen?
Was wäre gewesen, wenn ich mich doch zur natürlichen Geburt entschlossen hätte?
Hätte ich mein Kind ganz verloren?

Ich war traumatisiert.

Die nächsten Tage im Krankenhaus waren auch nicht hilfreich. Diese Stillschwester, die es nicht dabei belassen wollte, dass ich mit dem Abpumpen zufrieden war, nein, ich musste das Kind immer wieder anlegen. Die Folge: wieder wunde Brustwarzen und ein schreiendes Baby, weil es keine Milch bekommt.
Ich war mit allem überfordert. Man unterstützte mich nicht, ich bekam nur zu verstehen, dass ich mich nicht genug anstrengen würde…
So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Gesellschaft und Medien suggerieren einem ja auch nur das perfekte Bild von Schwangerschaft, Geburt, Stillen und all dem anderen tollen Mutter-Kram.
Nach 4 Tagen gab die Stillbeauftragte dann auf und ich wurde in Ruhe gelassen mit erneuten Still-Versuchen. Ich pumpte regelmäßig ab… ziemlicher Aufwand… und fütterte meine Tochter über die Flasche mit der eigenen Milch. Es war okay für mich. Nach einer Woche durfte ich dann heim.
Das zog ich dann 6 Monate lang durch. In der Zeit schlief ich nicht viel. Immer nur Stundenweise. Hatte ich doch diese Doppelbelastung aus Abpumpen und füttern.
Was noch hinzu kam…
Exakt 8 Wochen nach der Geburt bekam ich in einer auf Asperger-Autismus spezialisierten Abteilung einer Uniklinik die Diagnose gestellt. Meine Tochter hatte ich mit dabei.
Bald darauf stürzte ich in eine heftige Depression und auch Zwangsgedanken entwickelten sich. Vermutlich ausgelöst durch die Hormonumstellung nach der Geburt. Auch hier wieder… wirkliche Unterstützung/Hilfestellung bekam ich nicht vom Frauenarzt und um das alles allein in die Wege zu leiten, vergeblich zu telefonieren, nur um auf mehrmonatigen Wartelisten zu landen… nach 2 Versuchen hatte ich keine Kraft mehr dafür.
Ich kämpfte mich allein da durch.
Die Diagnose Autismus… das traumatische Geburtserlebnis… eine sich wirklich unmöglich benehmende Schwiegermutter, die sich zu der Zeit auch noch selbst einlud… ich hatte keine Ruhe auch nur annähernd etwas zu verarbeiten.
Ich wurde depressiv. Aber ich bekam das allein hin… ich überstand die Zeit der Zwangsgedanken (gut für eine schöne Mutter-Kind-Bindung war das damals nicht)… und irgendwann nach einem halben Jahr ging es mir etwas besser. Ich begann mich mit dem Thema Autismus deutlich mehr auseinanderzusetzen.

Nun sind 5 Jahre vergangen. Das Leben verlief bis hierher auch eher in Strudeln. Mal mehr, mal weniger. Doch jetzt habe ich die Kraft gefunden das alles endlich mal mittels professioneller Hilfe aufzuarbeiten.

Ich freue mich das du bei mir bist.
Und morgen dann… Happy Birthday meine Kleine.

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personal: Ist doch alles super!

Wirklich? Oder nur oberflächlich und von Außen betrachtet?

Ich habe jetzt länger mit mir gerungen, ob ich das wirklich veröffentlichen soll, aber ich bin es leid Angst davor zu haben, was andere wohl darüber denken könnten. Schließlich zeige ich hier meine Schwächen – und wer macht das schon gern. Aber auch das gehört meiner Meinung nach dazu, wenn man etwas bewegen will.
Wo Licht ist, ist eben auch immer Schatten! Das wird nur all zu gern vergessen, wenn ich von positiven Dingen in meinem Leben berichte.

Um bei diesem Bild oben zu bleiben… es verdeutlicht mein Innenleben ganz gut.

Ein kaputtes Haus mit hübschem Ausblick. Du stehst Barfuß in diesem kühlen dunklen Gang und willst zum Fenster, um mehr zu entdecken. Raus aus der Dunkelheit – hin zum Licht. Nur musst du dazu vorher über all die Scherben und anderen Gefahren steigen. Immer in der Hoffnung, dich selbst nicht zu verletzen oder das in diesem maroden Haus nicht doch auf einmal die Decke herunter stürzt und dich unter all dieser Last begräbt.

Durch diverse Ereignisse in meiner Vergangenheit ist dieses Haus in dem ich stehe immer mehr zerbröckelt und auch in gewisser Weise vergessen worden. Es hat niemanden gekümmert und auch ich selbst hatte irgendwann nicht mehr die Kraft dazu, den ’schönen Schein‘ zu wahren. Ich lebte nur noch von Tag zu Tag. Kein Gedanke an Morgen. Hauptsache das Heute überstehen.
Dieser katastrophale Zustand ist 11 Monate her und begann schon etliche Jahre zuvor.
Mittlerweile bin ich dem Fenster ein ganzes Stück näher gekommen. Ich kann immer mehr erkennen. Blatt für Blatt. Kleinigkeiten. Aber ich bin noch nicht so nah, dass ich gar aus diesem Fenster hinausklettern könnte. Ob das überhaupt jemals möglich sein wird… – ich weiß es nicht.
Da ist schließlich der Autismus, der mich wie durch eine unsichtbare Barriere von dieser Welt da draußen trennt.
Ich weiß das ich niemals richtig dazu gehören werde. Aber das hält mich nicht davon ab, mir wenigstens meinen kleinen Teil so angenehm und erlebnisreich wie möglich zu machen. Das lässt all die autismusbedingten Kratzer und Wunden deutlich einfacher ertragen.

Um nun etwas konkreter zu werden, was meine letzten Wochen betrifft und der Ein oder Andere vielleicht auf Twitter oder Facebook mitverfolgt hat…
Es ist natürlich so, dass unglaublich viele positive Dinge geschehen sind.
Paris, die Konzerte und all das was ich fotografisch festhalten durfte… die Kontakte und Möglichkeiten die sich wiederrum daraus ergeben haben – ist ja vieles nachzulesen…
Doch das Alles ist mir nicht von allein zugeflogen, wie man vielleicht annehmen könnte. Für vieles habe ich schon Wochen und Monate im Voraus etwas getan, dass es mir dann letztendlich ermöglicht hat, dass ich das dann nun auch so tun konnte. Für andere Dinge wiederrum erforderte es Mut und auch ein wenig Glück, dass sie so extrem kurzfristig geklappt haben.
Tatsache ist aber, dass ich aktiv und hart arbeitend etwas dafür getan habe! Nichts davon wurde mir aus reiner Herzensgüte geschenkt oder weil ich mich in irgendeiner fucking privilegierten Position befinden würde.
Ich bin niemand mehr der sich im Selbstmitleid verkriecht und jammert, wie schlimm doch alles ist. Ich bin deutlich selbstbewusster geworden und gehe meinen Wünschen und Träumen nun endlich wieder nach.

Das allerdings hat auch zur Folge, dass ich die Schattenseiten mit in Kauf nehmen muss.
Es waren unglaubliche viele Eindrücke, die ich da in den letzten Wochen erlebt habe. Als Autistin prasseln ungefiltert deutlich mehr Reize auf mich ein, als es bei Nicht-Autisten der Fall ist. Das Alles will und muss verarbeitet werden. Dadurch dass ich so viel zu tun hatte, schob es sich immer mehr auf. Als ich nun ein paar Tage Ruhe hatte, brach das Alles über mich herein. Auch das so viel Positives geschehen war – Eines das Andere toppte. Irgendwann musste auch da Schluss sein.
Wo bin ich also nun? Ich bin ‚in ein Loch gefallen‘. Emotional überwältigt könnte man sagen. Erschöpft vom (positiven) Stress. Aber Realist wie ich bin, habe ich das kommen sehen. Nur nicht, dass es nun doch so plötzlich da war, dieses Tief.
Hinzu kommt der Schlafmangel, den ich in den letzten Wochen angesammelt hab. Pro Nacht kaum mehr als 3 Stunden Schlaf. Sicher, früher war das auch nicht viel anders, aber ich bin eben auch keine 20 mehr ;-)
Ich muss nun in Zukunft also weiter daran arbeiten ein Gleichgewicht zwischen Stress und Ruhe im Allgemeinen zu finden. In Paris selbst zum Beispiel gelang mir dieses Gleichgewicht ganz gut, aber daheim sind die Routinen doch (noch) zu eingespielt und müssen neu angepasst werden. Manchmal fällt mir das in komplett anderer Umgebung (Paris) eben leichter.
Aber ich bin sicher, dass mir das in der nächsten Zeit gelingen wird. Was ich aber auch merke ist, dass durch den ganzen Stress wiederrum andere wichtige Routinen gelitten haben und ich denen nicht wie gewohnt nachgehen konnte. Dieses Ungleichgewicht spüre ich nun.
Auch mein Körper sendet jetzt mittlerweile Signale, dass es zu viel war.
Aber auch das ist ein gutes Zeichen. – Ich nehme diese Grenze wahr. Ich akzeptiere sie. Ein andern mal kann ich dann weiter an dieser Grenze arbeiten, um sie noch ein klein wenig weiter nach Außen zu verschieben. Nur das ist nicht heute oder morgen. – Gewiss auch nicht kommende Woche. Nun stehen Regeneration und Analyse der aktuellen Situation ganz oben.
Dieses ‚Loch‘ will ersteinmal überwunden werden. Was mir sicher dabei helfen wird, sind die vielen Eindrücke und Erinnerungen aus den letzten Wochen. Waren doch wirklich fantastische Momente dabei. Und allein die sind es alle mal wert, auch solche Rückschläge und Tiefs in Kauf zu nehmen.
Für mich ist dass das eigentliche Leben.
Dieses Auf und Ab. Genießen und gefordert werden.
Ohne dieses Input, all diese bereisten Orte, Begegnungen, Erlebnisse, erfüllten Wünsche… das war es schließlich auch, was mir all die Jahre gefehlt und mich immer unglücklicher gemacht hatte.

Nun an diesem Wochenende waren meine Großeltern väterlicherseits auch zu Besuch. Genau… der Großvater mit dem Schach ;-)
Natürlich nutzte ich die Gelegenheit für einige Partien. Da mein Bruder mit da war, bat ich um etwas ganz Verrücktes: Eine Partie gegen Beide gleichzeitig.
Ich wusste von vornherein, dass ich keine Chance haben werde, wenn ich gleichzeitig spiele, aber darum ging es ja auch gar nicht. Ich wollte sehen, wo ich stehe.
Wenn ich das Spiel dann also wieder ‚ummünze‘ auf mein Leben, dann sehe ich insgesamt in der Konzentrationsfähigkeit erneut deutliche Fortschritte. Auch was das Vorrausdenken der Züge betrifft. Im Einzelspiel gelang mir alles noch besser – aber es war auch sehr interessant zu merken, wie sehr ich von meinem Fokus abhängig bin. Auf 2 Schachpartien so anspruchsvoll zu reagieren… momentan (noch) nicht möglich. Ich verlor beide Partien zusammen deutlich schneller, als eine Einzelne.
Aber das soll nicht das letzte Mal gewesen sein. Ich will besser werden.
Mein Bruder versuchte sich übrigens auch in einer Doppel-Partie gegen Großvater und mich. Was mich erstaunte, er berichtete genau das Gleiche. Das es nocheinmal deutlich anspruchsvoller ist, sich auf 2 Partien gleichzeitig zu konzentrieren. Ihr erinnert euch – er verlor noch nie ein Spiel und auch damals im Schachclub gewann er spielend gegen alle… Großvater und ich sind also doch ein härterer Brocken und er hatte sichtbar ziemliche Schwierigkeiten und leistete sich einige Schnitzer. Interessant diese Analyse, die man durch Schach erhält. Welche mentale Leistungsfähigkeit man tatsächlich hat. Ich erlebte aber auch, was es heißen kann, wenn die Leistungsfähigkeit (durch Müdigkeit) abnimmt. In einer weiteren hart umkämpften Partie verlor doch dann tatsächlich mein Bruder gegen meinen Großvater. Ein historischer Moment ;-)

Rational wie ich eben bin, mache ich mir keine Illusionen darüber, dass alles super ist. Auch wenn es von Außen so aussehen mag. Es ist jede Menge Arbeit und auch weiterhin ein arbeiten an mir selbst. Für mehr Stabilität. Ich bin auf einem guten Weg, kenne meine aktuellen Grenzen und akzeptiere wo ich im Moment stehe.
Jedenfalls bin ich auch sehr dankbar für die letzten Wochen und stolz auf das, was ich da eigentlich alles geschaffen und erreicht habe.

Alles andere ist ein gewisses Feintuning der bisherigen Routinen und auch die ein oder andere Kompletterneuerung. Ich bin schließlich nicht mehr der Mensch, der ich noch vor 11 Monaten war.

Es reicht eben nicht, nur 1 oder 2 Aspekte in seinem Leben zu ändern. Alles muss neu angepasst werden. Ansonsten reißt es dich nur in die Vergangenheit zurück.

Und das ist eben genau das, was ich nicht mehr will.

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Anmerkung zum Foto oben, weil mehrfach gefragt wurde: Aufgenommen wurde es in einer ehemaligen Tuberkulose Klinik irgendwo in Deutschland. ;-)

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personal: Schach als Indikator für das mentale Befinden

(Lesezeit circa 5 Minuten) – Triggerwarnung: Depression

Schach: 1 König. 1 Dame. 2 Türme. 2 Springer. 2 Läufer. 8 Bauern. Je für Hell und Dunkel. 64 Felder auf dem Brett. 2 Spieler. Unzählige Möglichkeiten.

Zunächst etwas zurück in der Zeit…
Schach habe ich als kleines Mädchen von meinem Großvater beigebracht bekommen. Von Anfang an war ich fasziniert von der Logik, Einfachheit aber dennoch insgesamten Komplexität dieses Spiels. Ich begriff schnell. So kam es dann also immer zu mehreren Schachpartien am Tag, wenn ich zu Besuch war. Mein Opa besitzt dieses Schachspiel aus Holz, auf dem ich spielen lernte, noch heute. Die Haptik und auch der Geruch den das Brett und die Figuren über die Jahre angenommen haben… Kindheitserinnerungen an die vielen gemeinsamen Stunden.

Nun aber zu dem, weshalb ich diesen Artikel hier eigentlich schreibe: Meine Beobachtungen der letzten Jahre an mir selbst und wie ich während dieser Zeit Schach spielte. Oder besser gesagt – kläglich scheiterte, vernünftige Partien zu spielen.
Rückblickend weiß ich nun, warum meine Spielweise in dieser Zeit grottenschlecht war.
Was war geschehen?
Ich landete in einer Beziehung und später auch Ehe, die mir so im Nachhinein betrachtet, absolut nicht gut taten. – Das Schlimme an der Depression und solchen Beziehungen ist ja, dass du es zu spät mitbekommst, was da eigentlich passiert. Du denkst du bist glücklich und zufrieden – ein Trugbild deiner Ängste und Sorgen, die dich zu Beginn gekonnt täuschen. Die Zweifel kommen erst langsam nach und nach. Dann willst du es nicht wahr haben. Und schon steckst du drin in diesem Teufelskreis.

Frühjahr 2013… Ich hatte eine PTBS ausgelöst durch das traumatische Geburtserlebnis – entwickelte zu allem Überfluss 3 Monate nach der Geburt meiner Tochter zusätzlich noch eine schwere Wochenbettdepression mit Zwangsgedanken. Dazu unfähige Ärzte und Pfleger, die die Situation nicht ernst nahmen, obwohl ich akut um Hilfe bat! Krasser Fall von unterlassener Hilfeleistung, wenn man es streng nimmt. Dazwischen dann noch die Autismus-Diagnostik an der UK Freiburg, als meine Tochter gerade mal 8 Wochen alt war. Sowie die da bereits kriselnde Ehe…
Ich merkte, dass ich kognitiv mittlerweile nicht mehr zu meinen gewohnten Leistungen in der Lage war. Kämpfte ich doch aktiv in und mit mir selbst, um zunächst einmal die Zwangsgedanken zu besiegen. Es war ein täglicher Kampf: David gegen Goliath. Ich habe ihn gewonnen. Hier begann sich dann meine starke Resilienz bemerkbar zu machen. Ohne jegliche Hilfe von Außen kämpfte ich mich noch durch die ärztlich unbehandelte Wochenbettdepression und auch das traumatische Geburtserlebnis bewältigte und verarbeitete ich allein. Aber das nahm alles Zeit in Anspruch. Ich musste mich schließlich noch um mein ‚weiteres Leben‘ kümmern. Baby, Haushalt, Ehemann und natürlich noch die frische Autismus-Diagnose, die das alles nicht gerade einfacher machte.
In dieser Zeit lernte ich viel über mich selbst und meine (kognitiven) Fähigkeiten.
Eben weil sie auf einmal nicht mehr da waren.
So richtig bewusst wurde mir das, als ich irgendwann in diesem ganzen emotionalen Chaos, bei einer Partie Schach gegen meinen Großvater, nach nicht einmal 30 Minuten verlor. Ich war schockiert. Das war nicht ich. Ich wollte eine Revanche. Das gleiche Trauerspiel. Ich war unfähig auch nur 3 Züge im Vorraus zu planen. – Eigentlich sind 6-7 Züge für jeweils 3 oder 4 Gegnervarianten normal bei mir.
Hier noch nicht einmal 3 meiner Eigenen…
Ich starrte auf das Schachbrett und sah nur Leere. Klar, da standen zwar Figuren auf dem Brett, doch irgendwie hatten sie keinerlei Bedeutung mehr für mich.
Dieses katastrophale Schach-Erlebnis öffnete mir die Augen. Das war Frühjahr 2015.
Ab diesem Zeitpunkt begann ich mich noch mehr mit mir selbst auseinander zu setzen.
Was will ich? Was kann ich? Was muss ich tun? Wer oder was hindert mich alles daran, meine Ziele zu erreichen? Was tut mir gut? Wer oder was nicht?
Ich veränderte mich, was letztendlich dazu führte, dass ich schlechte Entscheidungen des Mitmenschen nicht mehr einfach schweigend hinnahm. Leider konnte er damit nicht umgehen und so blieb mir eines Tages nur noch die Möglichkeit, die Polizei zu rufen und Anzeige wegen Körperverletzung zu erstatten. Bis hierher und nicht weiter! Ende.

Anfang September 2015 gab es wieder einige Partien gegen meinen Großvater. Leider auch hier noch immer schneller Verlust und Matt. Ich hatte nicht so recht Spaß am Spiel. Aber wer sollte es mir verübeln, nachdem was kurz zuvor geschehen war? Immerhin war die Leere verschwunden. Ein Fortschritt und ich interessierte mich für das Match, dass mein jüngerer Bruder gegen meinen Großvater spielte. Ich versuchte begleitend für mich zu analysieren. Das von Außen Betrachten fiel mir in diesem Moment immerhin leichter. Auch ein Fortschritt. Ich begann mich an eigene Logik-Denkweisen zu erinnern. Ließ mir im Nachhinein ein paar Züge von meinem Bruder erklären. Warum dieses oder jenes in der jeweiligen Situation. Analyse. Nicht nur das Spiel. Auch mich selbst. Akzeptieren. Verstehen. Lernen.

Frühjahr 2016… es war wieder Zeit für einen Besuch. Dieses Mal freute ich mich auf die Partien. Klarer Fortschritt. Die Runden dauerten deutlich länger. Meine Konzentrationsfähigkeit und Denkleistung waren wieder merklich ausgeprägter und schneller. Noch nicht auf Optimum, aber auf einem sehr guten Weg.
Ein Matt stand dann am Ende auch auf meinem Konto.
Danach wagte ich endlich mal wieder eine Runde gegen meinen Bruder. Man muss dazu sagen, dass mein 5 Jahre jüngerer Bruder in einer ganz anderen Dimension Schach spielt. Er ist mal (mehr oder weniger) aus einem Schachclub geflogen, weil er zu gut war. Er schlug alle Mitglieder mit Leichtigkeit und auch die Trainer hatten keine Chance. Irgendwann hatte niemand mehr Lust gegen ihn zu spielen… Ich weiß gar nicht, ob ihn überhaupt mal jemand in den letzten Jahren Matt gesetzt hat. Ich glaube nicht.
Na jedenfalls… ich schaffte einen Patt gegen ihn. Ein Remis. Nichts Rühmliches, aber immerhin nicht auf voller Linie verloren. Im Gegenteil, laut seiner Aussage machte ich ihm das Leben ein paar mal sehr schwer mit meinen Zügen. – Das ist ein ziemliches Kompliment, wenn man ihn im Schach ins gedankliche ‚Schleudern‘ bringt. Ich bin also auf einem guten Weg zu den alten Höchstleistungen.

September 2016…
Mein Leben verläuft seit dem Frühjahr von Monat zu Monat immer besser. Die Arbeit zahlt sich aus. Der August war mein persönliches Highlight bis jetzt. Dinge haben sich ergeben, an die habe ich vorher kaum zu denken oder gar zu hoffen gewagt. Und doch sind sie geschehen – das alles nur, weil ich die Initiative ergriff und mutige Züge wagte.
Mittlerweile habe ich mit fähigen Ärzten und Therapeuten hier in Heidelberg detailliert über meinen steinigen Weg sprechen können. Ich bekam einstimmig erklärt, dass es eine erstaunliche Leistung von mir war, das Alles allein bewältigt zu haben, während die Umstände alles andere als optimal waren.

Und nun…? Seit wenigen Tagen habe ich wieder so richtig Lust auf Schach. Ein verdammt gutes Zeichen ist das. Mal sehen, ob mein Bruder demnächst Zeit für eine Partie hat.

Das Spiel der Könige war nun zwar nicht mein Retter in der Not, doch hat es geholfen mir bewusst zu werden, was die aktuelle Situation war.
Eine Art Anker, der mich zurück in die tatsächliche Realität riss.
Raus aus dem, was mir andere weismachen wollten.
So im Nachhinein hätte es mir eigentlich damals schon zu denken geben müssen, dass ich den Mitmenschen nach nur wenigen Minuten Matt setzte. Oft hatten wir nicht gespielt – er war chancenlos gegen mich. Doch im ‚richtigen‘ Leben? Ich bin auf jemanden hereingefallen, der gut blenden und Menschen belabern beeinflussen kann.

Beim Schach jedoch fällt dieses Theater alles weg. Es gibt nichts zu blenden. Es gibt nur das was ist. Tatsachen. Das Brett und die Figuren. Ein Plan der sich von Zug zu Zug verändert, neu analysiert und angepasst werden muss. Keine Hilfsmittel. Da bleibt keine Zeit für Spielchen.

Jetzt nach all dieser Analyse finde ich, ist Schach ein ausgezeichnetes Spiel, um jemanden ‚tatsächlich‘ kennenzulernen. Ich werde mich bei der nächsten Partnerwahl wohl auch etwas mehr darauf stützen. Nun bin ich deutlich sensibler, was die Einschätzung eines Menschen angeht. Ein solch fataler Fehler wird mir gewiss nicht mehr passieren.
Das Spiel hat einfache und klare Regeln und ist daher auch für Jeden gut zu lernen – Ausreden man(n) könne kein Schach, lasse ich also nicht gelten.
Zum Einen lernt man viel über die Denkweise seines Gegenübers und zum Anderen können sich während des Spiels auch interessante Gespräche nebenher ergeben. Ich spiele schließlich kein Turnier-Schach, sondern lediglich zum Zeitvertreib. Ein tiefgründiges Gespräch während einer guten Partie finde ich durchaus reizvoll.
Schach wird also in Zukunft mit darüber entscheiden, ob jemand Chancen bei mir hat oder eben nicht. – Na wenn das mal nicht kultiviert ist ;-)

Ich werde auf jeden Fall wieder regelmäßiger spielen. Ich habe wieder Spaß daran und als positiven Nebeneffekt gleich dazu ein Kontroll- bzw. Warnsystem.

Vielleicht hat dieser doch sehr persönliche Einblick jemanden eine Idee gegeben, wie er eventuell sein eigenes Leben besser meistern kann.
Manchmal muss man in der Wahl der Hilfsmittel eben kreativ sein.

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Note: Das Schach-Set oben im Header habe ich im Louvre fotografiert.
Es ist das „Saint Louis“, stammt aus dem 15. Jahrhundert und wurde aus Kristall, Quarz und vergoldetem Silber hergestellt. >Hier< geht es zur genauen Beschreibung auf der Louvre-Website (englisch).

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Kapazitätenkiste

„Siehste… es geht doch, wenn man nur will!“
 

Nein – geht eben nicht!
Aufgrund der doch sehr krassen Veränderungen in meinem Leben wurde ich in letzter Zeit wieder häufiger mit diesem widerwärtigen Spruch bombardiert.
Warum ich das so sehe?
Weil damit völlig außer Acht gelassen wird, was man alles auf sich nimmt bzw. nahm, um nicht zu zerbrechen.
Manchmal hat man im Leben keine Wahl. Du wirst vor vollendete Tatsachen gestellt, konntest bestimmte Dinge in deinem Leben nicht beeinflussen, weil sie in den Händen anderer lagen.
Denn es ist keine Wahl die du triffst: machen oder zerbrechen.
Das ist reiner Überlebensinstinkt der in solch krassen Situationen einsetzt. Mechanisches funktionieren. Keine frei gewählte Handlung. Friss oder stirb.
Und jeder da draußen, der nicht mehr „fressen“ kann oder will, der hat seine Gründe. Gründe können vor allem sein: Hoffnungs- und Hilflosigkeit, aufgrund von fehlendem Verständnis und Unterstützung.
Eben dieses fehlende Verständnis und Durchleben einer solchen Situation bringt manche Menschen dazu, dir einen solchen Spruch an den Kopf zu werfen. (RW)
Sie ignorieren die Realität. Meine Realität.

Wie sieht denn meine Realität aus? Wie war es bei mir?
Die eigentliche Veränderung, die mich das alles so gut hat durchstehen lassen, begann schon viel früher.
Bei mir war es um den 30. Geburtstag herum… – eigentlich muss ich sogar noch etwas weiter ausholen…
Aufgrund meiner schwierigen Schwangerschaft, der traumatisierenden Geburt, dem Fehlverhalten der Ärzte im Vorfeld und behandelnden Pflegerinnen auf der Station, setzte dort schon eine tiefe und unbewusste Veränderung in meinem Körper ein.
Tatsache ist, dass ich in diesem Zustand allein gelassen wurde.
Ich habe eine mittelschwere Wochenbettdepression mit starken Zwangsgedanken allein durchlebt und letztenendes überwunden. Damals erhielt ich keinerlei ärztliche Hilfe – von Medikamenten ganz zu schweigen… Im Gegenteil, ich hatte zu dieser Zeit sogar noch mit allerhand Unverschämtheiten mir gegenüber zu kämpfen. Das Narzisstische Monster zeigte sein wahres Gesicht, als ich mein Baby im Arm hielt.
Wenn ich ehrlich bin… Es ist ein Wunder, dass ich heute mit meiner Tochter hier bin. Würde man alle Einzelheiten kennen, man hätte sich damals nicht über einen traurigen Zeitungsartikel gewundert. Aber dazu kam es ja glücklicherweise nie!
Es ist unglaublich, was ich und mein Körper mit seinem Überlebensinstinkt da geleistet haben.
Überlebensinstinkt mit Neugeborenem vs. Hormonchaos, Trauma, Schmerzen, fehlende Unterstützung/Verständnis.
Ziemlich krasses Ungleichgewicht.
Und genau dort mittendrin… exakt 8 Wochen nach der Geburt hatte ich meinen Termin in der Psychiatrie bzw. Autismus-Ambulanz der Uni-Klinik.
(Also es braucht mir wahrlich niemand damit kommen, wie „einfach“ ich es doch gehabt hätte!)
Jedenfalls… die Diagnose bzw. die Diagnosen (ich bekam nicht nur Autismus diagnostiziert), das veränderte nochmal so einiges – machte die kommenden Monate gleichzeitig um einiges schwieriger, als sie sowieso schon gewesen wären.
So vieles was ich allein verstehen, lernen und bewältigen musste.
Das war der Zeitpunkt, an dem ich diesen mechanischen Überlebensinstinkt das erste Mal bewusst wahr nahm. In diesen 3 Jahren seither habe ich verstanden wann er bei mir einsetzt, wie er funktioniert und was er mit mir macht. Denn als er vergangenen November wieder einsetzte war ich vorbereitet. Vorbereitet auf das scheinbar Unmögliche. Die freigesetzten Kräfte und Kapazitäten.
Da bin ich auch schon beim eigentlichen Knackpunkt… den Kapazitäten.

Gewisse Dinge nur zu wollen, reicht nicht. Dieses „Wollen“ braucht Vorbereitung, Übung und vor allem Zeit.
Zurück zu meinem 30. Geburtstag… nichts besonderes… lediglich eine Runde Zahl. Ich begann mein Leben zu hinterfragen. Was will ich eigentlich? Bin ich glücklich? Bin ich zufrieden? Soll es so weitergehen?
Ich kam zu dem Schluss, dass Veränderung her muss. Die sollte allerdings Zeit brauchen. So wie es Zeit brauchte, all das Vergangene zu verarbeiten und daraus zu lernen. Veränderung geht nur durch Verstehen.
Mir wurde bewusst, dass meine Resilienz sehr stark ist, obwohl meine Umweltfaktoren bis dahin eher das Gegenteil vermuten ließen.

Im übrigen ist es mein Bestreben, dass es irgendwann einmal erforscht wird, wie es sich mit der Resilienz speziell bei Autisten verhält. Bisher ist mir dazu nichts bekannt.

Ich begann mich also zunehmend gegen Fehlverhalten zu wehren. Überlegte mir immer und immer wieder neue Strategien. Probierte aus und veränderte allmählich meine Gewohnheiten und mein Verhalten. Ich gestand mir ein, mich in gewissen Dingen bisher falsch verhalten zu haben. Das ist nicht leicht. Aber ich hatte verstanden, dass ich mir im Endeffekt nur selbst schadete.
Klitzekleine Schritte, aber dafür stetig.
Wie ich schon erwähnte… das ich mich veränderte passte nicht jedem, aber wichtig ist, dass ich schaue, dass es mir gut geht. Ich bin schließlich nicht für Entscheidungen und (Fehl-)Verhalten von anderen verantwortlich und vor allem – ich lasse mich dafür nicht mehr verantwortlich machen!
Ich bin stark – das hat mir mein Lebenslauf gezeigt.

Ich versuche es einfach bildlich zu erklären… Es ist ähnlich der „Löffeltheorie“.
Ich nenne es meine „Kapazitätenkiste“.
Jeder hat eine Kapazitätenkiste (nachfolgend nur noch „KK“) mit seiner Geburt erhalten und schleppt sie seither mit sich herum. Bei dem Einen ist sie recht groß, bei dem Anderen klein. Im Laufe der Jahre kommen dann gewisse Gegenstände hinein. Jeder Gegenstand steht für eine Fähigkeit, die er kann oder erlernt hat. Die Kiste wird immer voller – es wird übereinander gestapelt was geht… Und manches geht dabei eben auch kaputt durch den Druck von oben, man stolpert oder durch Unfälle.
Durch eine Behinderung kommt man an einige Teile in seiner Kiste nicht so ohne weiteres heran oder aber hatte vielleicht nie die Möglichkeit Dieses oder Jenes hinein zu tun.

In dieser Zeit begann ich also in meiner KK herumzuwühlen. Ich fand so einige Gegenstände z.B. ein sehr verstaubter goldfarbener Handspiegel, ein mp3-Player mit leerer Batterie, zerbrochenes Geschirr, alte Fotos und ein Notizbuch mit einer getrockneten Blüte zwischen den Seiten.
Nun… was passiert, wenn man in so einer alten Kiste (in meinem Falle mittlerweile 31 Jahre alt) herumwühlt? Genau… Zwangsläufig wird Staub aufgewirbelt, man entdeckt längst vergessene und verloren geglaubte Dinge.
Man beginnt die oberen Gegenstände zu ordnen und kurz bei Seite zu stellen, um Platz zu schaffen. Weiter nach unten vorzudringen. Das zerbrochene Geschirr (ungesunde Ernährung) habe ich weitestgehend entsorgt. Der schwere, aber verstaubte Handspiegel (mein Selbstwert)… ich habe ihn gereinigt. Er ist wieder schön anzusehen. Die alten Fotos (Erinnerungen)… Sie haben mir gezeigt, wer ich einmal war. Sie erinnerten mich aber auch an viele schlechte Momente. Ich habe sie losgelassen. Behalten habe ich nur die, die mich spontan lächeln ließen. Der mp3-Player… ich habe eine neue Batterie eingesetzt und nun kann ich Musik wieder genießen und mich frei hineinfühlen. Das Notizbuch… ich schreibe meine Geschichte wieder selbst. Die Blüte zeigt mir, auch an den kleinen Dingen nicht achtlos vorrüber zu gehen.

Wenn nun also Lebenskrisen geschehen, dann kann es passieren, dass du deine Kiste vor Schreck fallen lässt, alles durcheinander wirbelt, zu Boden fällt und du nur noch mit chaotischem Einräumen (hineinwerfen) beschäftigt bist, weil die Gesellschaft nicht akzeptiert, dass da etwas herumliegt. Manchmal kommt dir jemand zu Hilfe beim einräumen, aber manchmal eben auch nicht. Alle laufen an dir vorbei, rempeln dich an oder trampeln gar auf deinen (kaputten) Gegenständen herum.
Friss oder stirb.
Einiges kannst du reparieren, doch die Spuren solcher Zwischenfälle bleiben sichtbar. Für dich und diejenigen, die genauer hinsehen wollen. Für den Rest ist oberflächlich gesehen alles in Ordnung.

Ich hatte den Vorteil durch meine bereits vorherige intensive Beschäftigung mit meiner KK, dass sie nicht mehr so voll war. Ich die Möglichkeit hatte, Dinge so abzulegen, dass sie nicht (weiter) kaputt gehen können. Und ich achtete mehr auf meine KK. Ich erahnte den Rempler von hinten und er traf mich nicht mehr mit voller Wucht. Ich hielt die Kiste ganz fest. Was passierte war lediglich, dass sich durch den Rempler (Ehe kaputt, Lügen die ich herausfand) noch mehr Staub lockerte und nach unten heraus rieselte. Ich entdeckte, dass ich mehr Platz in meiner KK habe, als ich noch vor kurzem annahm. Deswegen hatte ich die Möglichkeit Weiteres zu verändern. (Aufhören mit Rauchen, mit Yoga beginnen.)

Es hatte also nichts mit „Wollen“ zu tun, dass ich diese Krise und ihre Widrigkeiten so gut gemeistert habe. Es hatte etwas mit meiner Erfahrung, Resilienz und Vorbereitung zu tun, die schon vor langer Zeit ihren Anfang nahm.

Nur weil ich gerne 3m weit springen will, heißt das noch lange nicht, dass ich das auch kann.
Viel wahrscheinlicher ist doch, dass ich als Ungeübte bei nur 1,55m ungeschickt lande und mir den Knöchel verknackse.
Wichtig ist so vieles. Das was der Zuschauer gern vergisst. Die korrekte Körperspannung, der Anlauf, der Absprung, die Kraft-Schwung Umwandlung während der Flugphase, die sichere Landung.
Das alles erfordert Übung. Dauerhaft.
Sie funktionieren nicht, nur weil ich das so will – oder andere sagen: „Du musst nur wollen und dich mal richtig anstrengen.“ Das sind dann die Menschen, die lachend neben dir stehen, wenn du am Boden liegst. Dir nicht einmal auf helfen oder dich stützen, wenn du wegen dem verknacksten Knöchel humpelst!

„Siehste…, wenn du nur willst, dann geht es auf einmal doch.“
Das ist alles andere als Hilfe.
Das ist Ignoranz.

Nur weil es für Zuschauer so „einfach“ aussieht so etwas zu bewältigen, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht hart dafür gearbeitet habe, mit all den dazugehörigen Konsequenzen!

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Somebody (Neuroticfish)

Lange habe ich nun auf das neue Album von Neuroticfish gewartet. Voller Erwartung hinein gehört und ich bin nicht enttäuscht worden. Im Gegenteil. Die Szene tat sich in den letzten Jahren keinen Gefallen mit ihrer Musikentwicklung. Entweder massentauglichere Alben, die (mich) nicht mehr berührten oder die immer gleiche Mucke wie vor 5 oder gar 10 Jahren.
Herrlich erfrischend kommt das neue Neuroticfish Album „A Sign of Life“ daher. Bereits die ersten 5 Titel begeisterten mich.
Als ich bei Track 12 ankam, war ich erstaunt und begeistert zugleich. Mir kam nach 2-3 maligem Hören auch gleich der Gedanke, einen kleinen Blogeintrag darüber zu verfassen.

Der Grund liegt in der Thematik des Liedes: Depression.

In Zeiten von Twitter und dem (Hashtag) #notjustsad schien das Thema ein wenig in die breitere Öffentlichkeit gelangt zu sein, doch aufgrund der aktuellen Ereignisse um den Germanwings-Absturz werden Depressive oder anderweitig seelisch/psychisch belastete Menschen extrem stigmatisiert und trauen sich erst recht nicht an die Öffentlichkeit oder überhaupt mit jemandem darüber zu sprechen, um letztendlich Hilfe zu bekommen.

Um so passender finde ich dieses Lied zum jetzigen Zeitpunkt und verdient Aufmerksamkeit. Den Text zum Lied könnt ihr >hier< nachlesen.

Der Track beschreibt meiner Meinung nach sehr gut das Gefühl (wenn man in dem Moment überhaupt von Gefühl sprechen kann), welches man durchlebt, wenn man mitten in der Depression steckt. Es ist eher die Leere, die einen umgarnt.
Auch ich kenne das und der Texter (Spekulation meinerseits, wenn man die zeitweilige Trennung der Band bedenkt) des Liedes scheint ebenfalls eine solche Phase durchlebt zu haben. Anders kann ich es mir fast nicht erklären, so treffend diesen ‚Zustand‘ zu beschreiben. Diesen inneren Kampf. Bewusst oder vielleicht auch unbewusst aus der Emotion heraus findet er so eingängige Worte, dass sie diesem Song dadurch nur noch mehr Dramatik verleihen.

Dieses Thema mit solcher Medienpräsenz (wie sie die Band hat) anzugehen, finde ich klasse und verdient jede Menge Respekt. Ich hoffe, dass dieser Schritt belohnt wird.


Ein kleiner Nachtrag:
In der Zwischenzeit erhielt ich eine e-mail vom Sänger der Band, der auf diesen Text hier wohl aufmerksam gemacht wurde. Er schrieb mir ein paar nette Zeilen, wie treffend ich formulierte, was er mit dem Songtext ausdrücken wolle. Ich kann nur zurück geben: Danke für dieses Lied (und die freundliche Mail).

Wer in das Album hinein hören möchte, der kann das gerne hier tun:
Neuroticfish – A Sign of Life (via bandcamp)

http://www.neuroticfish.com/

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